Wählen, so habe ich bisher gedacht, funktioniert wie Gewichtheben – derjenige, der die meisten Stimmen bzw. das höchste Gewicht stemmt, gewinnt. Dass dem nicht so ist, hätte ich mir denken müssen, schließlich lebe ich seit mehr als 20 Jahren in einer Föderation, die zur Zeit aus 16 Ländern besteht. Klar, dass da jedes Land die Stimmen anders zusammenzählt bzw. dies, um seine Einmaligkeit herauszustellen, gerne täte. Lt. SZ gibt es aber nur drei Verfahren. Zwei Verfahren hätten CDU und FDP als Sieger errechnet. Jenes, für das sich die Niedersachsen entschieden haben, hat die SPD und die Grünen als Gewinner ausgespuckt. Es versteht sich von selbst, dass ein politischer TÜV alle drei geprüft haben muss. Wer glaubt da noch an einheitliche Lehrpläne (Stichwort: einheitliches Abitur)? Natürlich niemand.
Seitdem ich mich über das Internet über den Wahlausgang informieren kann, ist mein Interesse, darüber akustisch auf dem laufenden gehalten zu werden, rapide gesunken. Am Sonntag war der absolute Tiefpunkt erreicht – es hat gerade mal für ein Stück Einschätzung, die Deppendorf in der Tagesschau lieferte, gereicht. Und als dann noch in „Zeugin der Anklage“ der Richter auf die Frage der Haushälterin (glänzend gespielt von Una O’Connor) der Ermordeten, warum die Kasse sich mit der Genehmigung so viel Zeit lasse, antwortete, sie würde nichts verpassen, da in unsere heutigen Zeit eh viel Unsinn geredet werden würde, habe ich erst recht keine Lust mehr verspürt, zu Jauch zu schalten. (Hoffentlich zeigen sie den Film nicht am 22. September – da ist nämlich Bundestagswahl.) Die Zeiten, als sich auf das Internet zu verlassen bedeutete, verlassen zu sein, sind zwar längst vorbei, nichtsdestoweniger geht nichts über das Fernsehen, das einfach authentischer ist.
Und es ist auch amüsanter, die Politiker reden zu hören, als deren Aussagen lesen zu müssen. Gerade mal einen halben Fauxpas konnte ich im Netz ausfindig machen (und das auch erst am Montag) – Gabriels Bemerkung, man habe Themen in den Mittelpunkt gestellt, die die Menschen berühren würden. Wenn diese rühren würden, hätten viele SPD-Wähler den Sonntag wohl weinend in ihren Wohnungen verbracht. Gegen Steinbrücks Wahlkampfmotto „Viel Feind, viel Ehr!“ hätten Themen, die zum Heulen sind, eh keine Chancen gehabt. Wer es nicht gut mit Gabriel meint, könnte zum Schluss kommen, die SPD suche sich Themen aus, die Mitleid erregen. Gewählt wird sie nur, weil die gute alte Tante nicht untergehen darf. Was ist erst los, wenn die SPD Themen, die den Zielen und Wünschen der Bürger entsprechen, offeriert? Das wäre zu einfach für die SPD.
Heute Abend kann ich Versäumtes nachholen – Arte diskutiert mit Hollande, Merkel und Gauck. Das wird höchste Zeit, denn lt. „Le Monde“ sei Frankreich auf dem Weg zum Deutschenhass. Können die beiden Protestanten die Franzosen milde stimmen? Alles wäre viel einfacher, wenn Frankreich die Jeans erfunden hätte. Über eine Westjeans hat sich Merkel nämlich als Kind sehr gefreut. Leider stammt die aus Amerika. Seit ihrer Jeans-Beichte vor beiden Parlamenten im Capitol wird sie von den Amerikanern sehr verehrt. Was könnte sie zu DDR-Zeiten aus Frankreich geschenkt bekommen haben? Ich bin ratlos. Es muss ja etwas sein, das ihren Freiheitswillen entfacht hat. Frankreich darf schließlich nicht hinter Amerika zurückstehen. Vielleicht ein Stück Ziegenkäsecamembert aus den Pyrenäen (man bildet sich im Alter ja ein, schon mit zwei Jahren Camembert gemocht zu haben)? Eine exotisch riechende Seife? Mireille Mathieu (vermutlich war sie für die schon zu alt)? Ich weiß es wirklich nicht. Darum kann ich es kaum erwarten, zu erfahren, wie Frankreich ihre Liebe zur Freiheit erweckt hat. Und Gauck? Der kann zeigen, wie belesen er ist (Voltaire, Rousseau etc.). Er kennt bestimmt alle deren Werke. Hauptsache, er verwechselt nichts, bspw. indem er auch Boccaccio (Decamerone) anführt. Und natürlich darf er nicht übertreiben. Nicht dass die Franzosen auf die Idee kommen, ihm ein Buch von Jean de La Fontaine zu schenken. Darin wären „Rabe und Fuchs“ sowie „Die zwei Maultiere“ sicherlich mit Farbe gekennzeichnet.