Nehmt den „Wutbürger“ aus dem Duden

Gehörte ich zu den 9,37 Millionen, die vorgestern Schmücke und Schneider sahen, würde ich angesichts dieser Zahl, immerhin waren es 25,8 %, glauben, ganz Halle müsse ihren Abschied verfolgt haben – beiden ist es zu verdanken, dass Halle 17 Jahre lang auf der „Krimi-Landkarte“ Deutschlands zu finden war. Nicht einmal Schimanski, der immer noch Lieblingskommissar der Deutschen ist, hat Duisburg so lange im Rennen gehalten. Seit Montag ist Halle nicht mehr auf besagter Karte eingezeichnet. Nur im „Krimi-Geschichtsatlas“ wird die Stadt noch geführt. Und dort für immer verewigt bleiben, aber während viele bei Schimanski gleich an Duisburg denken (es ist natürlich auch umgekehrt der Fall), bin ich mir nicht sicher, ob die Leute in 5 Jahren Schmücke und Schneider mit Halle in Verbindung bringen werden.

Den beiden Kommissaren wäre das natürlich nicht anzukreiden. Sie waren (vom Hörensagen) gut. Vielleicht wären sie noch erfolgreicher gewesen, hätten sie nicht so viel Wert auf ihr Garderobe gelegt (Schimis Parka hat schließlich 10 Jahr lang gehalten). Für meinen Geschmack gibt es zur Zeit einfach zu viele Kommissare, die sonntags ermitteln dürfen. Wenn Schmückes Angabe, sie hätten drei Filme pro Jahr gemacht, stimmt, muss es 17 Kriminallistenduos geben (Sie merken, ich kenne mich überhaupt nicht aus). Wer in dieser Branche arbeitet, braucht wirklich nicht zu fürchten, im Job zu vereinsamen – entgegen dem allgemeinen Trend werden es von Jahr zu Jahr mehr. Als ich noch guckte, war es meistens nur einer. Vermutlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das erste Kommissar-Trio seine Premier feiern wird (bitte um Nachsicht, wenn es das schon geben sollte).

Und dann hat Halle nie mit Hochöfen und Kohlehalden dienen können, selbst alte Industriearchitektur, die sich immer hervorragend als Kulisse eignet (Sarah Lund zerrt davon), lässt sich kaum noch finden. Da wird es für den Regisseur schwer, einen Polizeiruf zu drehen, der den Zuschauern lange im Gedächtnis bleiben wird. Neben diversen Sehenswürdigkeiten sowie einer architektonisch interessanten Innenstadt kann die Stadt eine riesengroße Baugrube aufweisen. Ich vermute, dass diese den Zuschauern vorenthalten wurde, was jammerschade wäre, würde deren Anblick doch jeden Bauspekulanten (was wäre Leipzig ohne Schneider) in Aufregung versetzen (zum Leidwesen der Handwerker).

Nun sieht es so aus, als ob sich Halle dieser Grube nicht mehr schämen muss. Stuttgart droht, da Stadt und Land die Mehrkosten nicht tragen wollen, eine viel größere. Es ist so gekommen, wie die „Wutbürger“ es vorhergesehen und befürchtet haben – der Bau wird wesentlich teurer als geplant. Länger dauert er auch noch. Nicht nur deswegen ist es an der Zeit, diese Wortschöpfung aus dem Duden zu nehmen. Das Wort macht einfach jede Diskussion kaputt bzw. verhindert diese. Wer will mit jemanden schon diskutieren, wenn dieser ihn als „Wutbürger“ bezeichnet? Das Wort impliziert, dass man nicht mehr Herr seiner Sinne sei. Darum ist es abwertend. Die Leute, die gegen den Bahnhof protestierten, wussten, was sie taten. Kurbjuweit, Erfinder dieses scheußlichen Wortes, hat den Befürwortern ein Wort, mit dem sich die Gegner trefflich desavouieren ließen, geliefert. Sie brauchten sich nur dahinter zu verstecken. Ich habe den Eindruck, dass nur die Deutschen solche Worte erfinden. Sieht sie einmal da, gebraucht sie jeder (wenn ich nur an „Gutmensch“ denke). Englisch heißt das do-gooder. Bisher habe ich es nirgendwo gelesen. Gehört auch nicht. Vermutlich haben die Engländern mehr Freude am Diskutieren.

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