Ehre, wem Ehre gebührt – Gaucks Rede war richtig gut, und nur ein einziger Grund hindert mich daran, zu schreiben, dass ich sie für die beste Weihnachtsansprache, die je ein Bundespräsident gehalten hat, halte – ich kenne nur zwei, wobei das nicht ganz richtig ist, denn während die letzte Rede mir noch im Gedächtnis ist, blieb von Wulffs Botschaft gerade mal eine Szene, jene Einstellung, die ihn von oben inmitten des Spaliers Eingeladener zeigt, in, so hoffe ich, nur einer Gehirnzelle haften (mein Spam-Filter hat ganze Arbeit ganz geleistet). Mehr kann ich für ihn nicht opfern. Mich überraschte nicht, wenn nach dem Sehen aller Grußworte viele der Meinung wären, seine würde die persönlichste Ansprache sein. Gauck hat es, aus rein rhetorischer Sicht, einfacher gehabt – er konnte die Eindrücke, die er in Afghanistan, wo er kurz vor dem Fest war, gemacht hat, in seine Rede einfließen lassen.
In der (beneidenswerten) Position, sagen zu können, wie schön es sei, im Frieden zu leben, ist Obama nicht – würde dies der Inhalt seiner Neujahresansprache sein, ginge ein Aufschrei durch das ganze Land. Von ihm wird verlangt, den Menschen zu erklären, wie sie nach dem Sprung vom Felsen landen werden, wobei ich mir nicht sicher bin, ober überhaupt die Pilotenweisheit „runter kommt man immer“ gilt – von einem „fiscal cliff“ ist bisher noch niemand gesprungen. Am 01.01.2013 um 00:00 Uhr stürzen aller Voraussicht nach sich gleich mehr als 300 Millionen Menschen ins Ungewisse. Die Geschichte des Rattenfängers von Hameln erscheint nun in einem völlig anderen Licht – er führte die Kinder in einen Berg, Obama, er ist nun mal der Präsident, sorgt dafür, dass die Amerikaner von einem springen. Wenigstens haben letztgenannte den Vorteil, dass sie nicht zum Berg müssen, sondern der Berg zu ihnen gekommen ist bzw. sie seit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika auf diesem stehen oder ruhen. (Wer schon einmal im Gebirge war, weiß, wie mühsam es ist, einen Gipfel zu erklimmen. Runter ist es meist noch anstrengender.)
Ganz unbedarfte könnten einwenden, dass der Berg vermutlich überfüllt sei, und um niemanden zu benachteiligen, hätten sich dessen Bewohner entschlossen, sich alle in die Tiefe fallen zu lassen – sozusagen ein Massensturz aus Solidarität. Dem ist nicht so. Vielmehr rollen um oben aufgeführter Zeit die Bagger an, um den Berg, der nach Meinung einiger viel zu hoch geworden sei, abzutragen. (Meldungen, die besagen, die Anwohner würden unter der Höhe (Atemprobleme etc.) leiden, kenne ich nicht.) Kein Gericht kann sie mehr stoppen. Nur Politiker können das Projekt, das zu denen gehört, deren Sinn sich mir nicht erschließt, noch aufhalten. In Europa gibt es so etwas auch – um die Berge nicht anwachsen zu lassen, hat man sich hier eine drei und 60 Prozent-Regel einfallen lassen.
Zu glauben, die Einhaltung festgelegter Werte – dabei ist es völlig egal, wie diese zustande kommen – würde unser Leben sicherer machen, ist vermutlich der Technisierung geschuldet. Die Erfahrung lehrt, dass viele Unglücke sich ereigneten, weil Richtlinien und Vorschriften fehlten. Doch warum gibt es keine Klausel, die sagt, technische Prozesse, die Kohlendioxid freisetzen, ab einer bestimmten Konzentration dieses Elements in der Luft zurückzufahren?