Das Wahlvolk mag ihn

„Blakey“, der legendäre Inspektor vom Busdepot, ist mit der Meldung, er sei gestern im Alter vom 88 Jahren verstorben, von den Toten auferstanden, denn wer die Serie kennt, hat beim besten Willen nicht annehmen können, dass er einmal seine Schauspielerkollegen überleben würde, schon weil er in jeder Szene den Kürzeren zieht, was, Schauspieler hin oder her, der Psyche nicht gerade gut tut. Hinzukommt, dass „Blakey“ den Eindruck vermittelt, er stünde kurz vor seiner Pensionierung – für einen Mimen, der Mitte 40 ist, verlangt das einiges schauspielerisches Können ab. Und da in den 70ern noch kein Wiki zur Verfügung gestanden hat, habe ich ihn bis gestern für so alt gehalten, wie er sich gegeben hat. Dank Youtubes kann ich ihn nun im Original sehen. Die Hoffnung, dass sich das deutsche Fernsehen entschließen könnte, die Filme im Fernsehen zu zeigen, habe ich längst aufgegeben – die Serie, in der in einer Episode ein Fahrer während der Mittagspause seinem Schwager das Fahren eines Doppelstockbusses beizubringen versucht, scheinen die hiesigen Programmgestalter als für zu anarchistisch zu halten.

Als solcher wird der in den Umfragen vorn liegende Corbyn betrachtet. Wann Großbritannien wählt, müssen die Mitglieder Labours zweimal ran – einmal bei der richtigen Wahl, anschließend dürfen sie sich dann jemanden aussuchen, von dem sie glauben, er oder sie können ihnen ein drittes Prozedere, sprich Wahlgang, ersparen. Während die Mitglieder sowie die Wählerschaft ihn leiden können, mag ihn die Presse sowie die Parteispitze samt fast aller Abgeordneter überhaupt nicht. Sie versuchen, den Lesern und Wählern einzureden, mit ihm an der Spitze bräuchte Labour gar nicht erst in den nächsten Wahlkampf zu ziehen. Einige prophezeien, die Partei würde sich spalten, käme er ans Ruder. Der Wähler sieht das viel nüchterner. Selbst gutbetuchte Briten mögen ihn. Wenn mich jemand fragen würde, welcher deutsche Politiker ihm an nächsten käme, hieße dieser Ströbele. Der Brite schafft es sogar, noch weniger von sich herzumachen als der Berliner – er verzichtet einfach darauf, mit albernen, übergroßen Schals durch die Gegend zu laufen. (In zwei Monaten mummen sich die ersten wieder ein.) Während Ströbele ein wenig Boheme-Flair zur Schau stellt, ist Corbyn notorisch bescheiden. Als asketischen Professor, der nur für die Wissenschaft arbeitet (bzgl. der Askese könnte sich mancher Mönch eine Scheibe von ihm abschneiden), würde ich ihn beschreiben. Er macht nicht den Eindruck, als hätte er es nötig, sich beim Wahlvolk anzubiedern. Es sieht so aus, als ob sich die Menschen nach solchen Typen sehnen würde. Inhalte spielen da erst einmal nur eine untergeordnete Rolle. Es geht einzig und allein um die Glaubwürdigkeit. Er hat jedenfalls gute Chance, Labour wieder in die Downing Street zu bringen. Er muss nur die Kompromisse, die er machen wird, einigermaßen gut verkaufen.

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