Wie hat Charles das nur geschafft? Potentester „Show-Business-Export“ Frankreichs seit Maurice Chavalier, Entertainer des letzten Jahrhunderts (nach einer Umfrage CNNs) sowie 180 Millionen verkaufte Tonträger – würde ich mit den Superlativen fortfahren, könnte ich mir meine eigenen Gedanken sparen, was angesichts meines aufkommenden Zweifels (und das gleich bei der ersten „Hörprobe She“), ob Charles überhaupt singen könne, vielleicht die bessere Option wäre, da deren weitere Aufzählung mich womöglich davor bewahrt hätte, das Sakrileg zu begehen, am Können von Charles zu zweifeln. Da ich fürchte, dass selbst nach der 978. Hörprobe (auch eines seiner Superlative, jedoch blieben nach dieser Tortur immer noch 22 Songs, die ich nicht kennen würde) sich meine Begeisterung für Charles in Grenzen halten würde, geht es mir jetzt wie Kapitän de Courcy Rhumstone, der glaubt, Miss. Marple hätte ihn und die gesamte Besatzung verhext, so dass sie mit ihnen machen könne, was sie wolle. (Charles war jedoch viel zu ernst, um als Klabautermann, dem es Spaß macht, Matrosen und Offiziere an der Nase herumzuführen, agieren zu können.) Aber im Gegensatz zum bedauernswerten Kapitän, der sich völlig willenlos Miss. Marples‘ Tun ausgesetzt sieht, prallt bei mir dessen Zauber, dem vor allem Frauen erlegen sind (in den Nachrufen kommt viel zu kurz, dass Charles ein großer Frauenversteher war), ab. Was hat Charles nur gemacht, dass alle ihn so toll finden? Vermutlich hat es mehr mit den Texten als mit der Musik zu tun. Als ich ein Lied von ihm auf Deutsch hörte (die Veröffentlichung ist schon fast geschäftsschädigend), habe ich gefragt, ob es vielleicht nicht besser ist, das Erlernen der französischen Sprache, die für jeden, der sie nicht spricht, verführerisch klingt, aufzugeben. Noch ehe diese Gedanke Fuß fassen konnte, also noch rechtzeitig, kam mir Odysseus in den Sinn, der sich ja hat am Mast anbinden lassen, um die Sirenen hören zu können. Da man als Nation nicht so romantisch sein kann, jahrzehntelang Charles zu huldigen, hat womöglich die Piaf den Franzosen einen Streich gespielt – sie protegierte ihn mit der Absicht, sich an ihren Landsleuten für etwas, was niemand weiß, zu rächen. Das wäre ihr gründlich gelungen, ja sie hätte sogar mehr erreicht, als sie ursprünglich wollte, denn heute liegt ihm die halbe Welt zu Füßen. Ob es ihm aber etwas nützt, im Himmel als Weltstar einzutreffen, wage ich angesichts der Leute, die er dort antreffen wird, zu bezweifeln – wer mit Piaf, Brel, Bécaud etc. um die Gunst des Himmelpublikums kämpft muss fürchten, übersehen bzw. überhört zu werden. Daher wundert nicht, dass Charles bis zuletzt, sein letztes Konzert gab er Mitte September in Japan, auf der Bühne stehen wollte.
PS: Ich hoffe inständig, dass am Schwindel um ihn nichts dran ist, er also Fähigkeiten haben muss, die ich nicht zu würdigen bzw. zu erkennen weiß. Im Gegensatz zu Thomas Mann, der den Literaturnobelpreis für einen Roman erhielt, den nur Reich-Ranickis in Entzücken versetzt hat, kann Charles für sich beanspruchen, viele begeistert zu haben.
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