Die Völkerschlacht auf dem Riebeckplatz

Rentner an die Front – wer sonst könnte den Rückzug der Stadt in Gegenden, in denen sich Wohnungen nur schwer vermieten, geschweige den verkaufen lassen, verhindern? Wer denkt, Halles Rentner sollen in No-Go-Areas (die es hier übrigens nicht gibt) ziehen, irrt. Da sich Zahl pensionierter Heilsarmistinnen – bekanntermaßen lassen die sich von niemanden einschüchtern – in Grenzen hält, bekäme die Stadtverwaltung nicht genügend Aktivistinnen zusammen, um mit deren schierer Präsenz eine Welle der Bekehrung auslösen zu können. Nein, Wohnungen für Alte entstehen an Plätzen, in deren Nähe wegen des ständigen Verkehrs niemand mehr gerne leben will – den meisten sind diese Gegenden zu laut und zu ozonreich, außerdem wimmelt es dank vieler LKW dort nur so vor Feinstaub. Pensionäre stecken diese Belastungen natürlich locker weg (die sind einfach gegen alles immun). Deshalb hat man sie auch auserkoren, die Stellung zu halten. Ab 2015 dürfen sie sich am Riebeckplatz eingraben. Bis dahin soll am verkehrsreichsten Platz Halles ein Haus, das 100 Wohnungen, die alle auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten sind, verfügt, bezugsfertig sein. Gestern wurde der Gewinner des Architekturwettbewerbs vorgestellt.

Seitdem wollen die meisten die beiden Hochhäuser, die bis vor kurzem die Stadtgrenze markierten, wieder zurückhaben. Eine Handelskette, deren Werbung mir schon immer zugesagt hat – früher Rudi Carrell, heute finde ich das Mädchen, das immer die Flucht ergreift, wenn ein grimmig dreinblickender Verkäufer ihr die Bestandteile eines Eies erklärt, toll –, ist wegen der kleineren Verkaufsfläche, andere Entwürfe bieten mehr, auch unzufrieden. Seltsamerweise kann ich die Kette gut verstehen, denn je größer das Angebot, desto attraktiver der Platz, darum die Stadt auch viel besser beraten wäre, wenn sie einen Investor finden könnte, der ein Gebäude hinstellt, das möglichst vielen Händlern Platz bietet (leider sind Kaufhäuser ja mega-out). Halle wird weiterhin zu den wenigen Großstädten gehören, die rund um Bahnhof wenig zu bieten haben. Besserung ist dank eines Platzes, der man statt kleiner größer gemacht hat (er wurde nach der Wiedervereinigung sozusagen verschlimmbessert – siehe Bildergalerie), nicht in Sicht.

Das sähe sicherlich anders aus, wenn sich der MDR entschlossen hätte, die Völkerschlacht in Halle nachzuahmen. Stattdessen hat man Leipzig gewählt. Sonntag soll die Schlacht nachgestellt werden. Auf dem Riebeckplatz hätten die Hobby-Kanoniere beider Parteien eine Woche lang üben können, wie man Kanonen, die alle älter als die berühmte Schlacht sind, bedient. Natürlich wird morgen nicht scharf geschossen. Das hat der MDR schon montags bis donnerstags von 19:50 bis 20:15 Uhr getan – in überlangen „Brennpunkten“, in denen das Geschehen nachgestellt wurde. Der erste „Brennpunkt“ (sich einen anzuschauen, heißt, einen zu viel verfolgt zu haben) hat deutlich gemacht, dass „König Kurt“ einen richtigen Sachsen-König nicht ersetzen kann – niemand sächselt, es wird nur feinstes Hochdeutsch gesprochen. Selbst die Schlachtreporter stammen von außerhalb. Mit sich zu ihrem Dialekt bekennende Sachsen wären die „Brennpunkt“ aber auch nicht besser geworden. Die Reporter sind einfach zu emotionslos (besonders die beiden im Studio). Jeder rasselt seinen Text runter. Keiner der Reporter nimmt Anteil am Leid der Menschen, was in dieser Konstellation – Reporter aus dem Heute tun so, als ob die Schlacht gerade stattfinden würde – nicht so einfach herüberzubringen ist. (Im ersten Teil wurde seltsamerweise auch keiner verwundet.) Man hätte lieber Schauspieler verpflichten sollen. Die hätten für die theatralische Komponente, die völlig fehlt, gesorgt. Warum haben die Verantwortlichen nicht alle in historische Kostüme gesteckt? So getan, als würde jeder, der über das Geschehen berichtet, aus der Zeit stammen? Ich hätte bspw. Gunter Schoß ins Feld geschickt (in welcher Gestalt auch immer). Würde Kulenkampff noch leben, hätte er als Goethe vom Schlachtgeschehen berichten können. (Ich habe ihn nur als August. Beide unterscheiden sich aber nicht allzu sehr.) Immerhin wäre er besser als das Original – das hat übelst „gehesselt“. Grauenhaft. Trotzdem wollten die Leute ihn sprechen. Selbst Napoleon. Den hätte er diese Woche interviewen könne.

PS: Der Guardian hat auf seiner Webseite eine Fotogalerie über Straßenverkehrswarnschilder im Himalaja gestellt. Sehr kreative Sprüche finden sich auf denen. Vieles ist witzig. Und amüsant.

PSI: Auf Stegner bei Pelzig freue ich mich immer noch. Heute wird aber geguckt.

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2 Antworten zu Die Völkerschlacht auf dem Riebeckplatz

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