Wider der Verbildung

Was ich nicht mehr für möglich gehalten habe, ist mir gestern widerfahren – ich habe es geschafft, den ganzen Abend, genauer von 20:15 Uhr bis ungefähr 23:45 Uhr, vor dem Fernseher zu sitzen, ohne umzuschalten. Während die erstgenannte Tätigkeit – wer Loriots Sketch von der Frau, die sich darüber aufregt, dass ihr Mann nichts macht, kennt, weiß, dass selbst ein nur Herumsitzen sehr anstrengend sein kann – wegen des Fußballs öfter mal vorkommen kann, ist es äußerst selten, dass ich bei einem Sender länger als 10 Minuten verweile. Selbst bei wichtigen Spielen schaffe ich das nicht. Ausgerechnet bei einem Film, dessen Handlung praktisch in Zeitlupe widergegeben wird, bleibe ich 90 Minuten kleben – ich glaube, ergründet zu haben, dass der Regisseur diese nicht benutzt, um Licht ins Dunkel zu bringen (das würde ein Reporter machen, der nicht weiß, welche Sprinter im 100 Meter Finale Silber und Bronze geholt haben), sondern um uns im Ungewissen zu halten. Nicht dass ich mich, wenn ich umgeschaltet hätte, nicht mehr zurechtfinden täte, aber dank der Dialoge, in denen immer etwas, was der Lösung des Falls näher kam, Preis gegeben werden wurde (nebenbei sind die recht witzig und teilweise ganz schön deftig), bin ich nie in Versuchung gekommen, zu zappen. Wer will, kann selbst ausprobieren, ob er auch durchhält – Arte hat den Film („Polt.“) noch bis zum nächsten Donnerstag im Programm.

Um mit mir mithalten zu können, muss man sich anschließend noch „Kindkind“ reinziehen. Leute, die Inspekteur Clousseau mögen, werden schnell merken, dass die Polizei sogar noch schlimmeren Leuten eine Chance gibt, sich zu verwirklichen. Da Humor schräger nicht geht, ist der Vierteiler, von denen dank der berüchtigten 7 Tage Regelung der EU nur noch zwei Teile im „Angebot“ sind, nicht jedermanns Sache ist. An dieser Stelle ein Lob an den Sender – am Donnerstag hat er alles getan, um der Verbildung, die die öffentlich-rechtlichen Anstalten mit ihren unzähligen Rate- und Bildungsshows vorantreiben, entgegenzuwirken. Früher musste man, in die Volkshochschule zu gehen, die Wohnung verlassen, heute aber schleicht sie sich, wenn man nicht aufpasst, jeden Abend ins Wohnzimmer ein. Diese Shows erfreuen sich eines derart großen Zuspruchs, dass sich der Eindruck aufdrängt, in Deutschland müssen nur wissenshungrige Bürger leben. Vermutlich stimmt das sogar, jedoch bin ich mir nicht sicher, ob diese Sendungen bilden oder das Sehen nur dazu führt, dass wir uns einbilden, wir wären am Ende der Show viel gebildeter.

Leider lässt sich nur schwer sagen, wann jemand verbildet ist. Wiki liefert keine Definition. Ist jemand, der etwas Falsches weiß, verbildet? Ich denke nicht. Verbildung scheint mir vielmehr ein Zustand zu sein, der es fast unmöglich macht, etwas Richtiges zu erkennen. Womit ich bei Günter Jauch wäre, dessen Sendung am kommenden Sonntag jedem endgültig klar macht, dass der Sommer leider vorbei ist. Es geht um die Furcht vor dem Islam. Bosbach, Buschkowsky, Gezer und Buchen diskutieren darüber. Da ich Afua Hirschs Methode, junge Leute danach zur fragen, warum sie nach Syrien gegangen sind, besser finde, werde ich mich ganz Barnaby in der Hoffnung widmen, der zweite Teil möge spannender und humoriger als der erste sein.

Joyce fehlt mir. An den neuen Barnaby habe ich mich schon gewöhnt. Was denkt Merkel darüber? Sobald auf der Welt etwas passiert, zeigt uns das Fernsehen, was sie davon hält (dabei muss Deutschland nicht einmal unmittelbar betroffen sein). Geschieht mal etwas richtig Wichtiges, fragt sie niemand um ihre Meinung. Diese Woche gab sie mehrere Pressekonferenzen (mindestens zwei). Kein Journalist fragte, wie sie den Ausstieg ihre Lieblingspolizisten verkraftet hat.

PS: Deutsche Humor ist en vogue. Die Schlusssketch aus der „Anstalt“ hat es in den „Vineyard of The Saker“ und RT geschafft. Auf Youtube wird heftig diskutiert, ob das noch Humor ist.

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