Traurig, aber wahr – Europa will Snowden nicht

Armes, altes Europa – seitdem dessen Bewohner wissen, dass sie ausgespäht werden, sind sie in heller Aufregung, wenn es aber darum geht, jenen Mann, der ihnen die Augen öffnete, zu schützen, halten sie sich vornehm zurück, wobei das noch sehr wohlwollend umschrieben ist, denn Europa spielt mal wieder eine höchst zwielichtige Rolle (viel schlimmer als bei Assange) – während viele Politiker die Geheimdienste auffordern, ihre unlauteren Praktiken, die in vielen Ländern ungesetzlich sind, einzustellen, unternehmen sie nichts, um Snowden vor der Auslieferung in die Staaten, die ihn wegen Verrats angeklagt haben, zu bewahren. Nicht einer hat es für nötig befunden, zu erklären, dass sie ihn nicht ohne Weiteres ausliefern werden. Kein Oppositionspolitiker hat seine Regierung aufgefordert, ihm die Einreise zu ermöglichen. In den Diskussionsforen wünschen ihm die meisten alles Gute. Möge dessen Flucht nach Ecuador gelingen.

Selbst der „Guardian“, der alles ins Rollen brachte, tut nichts für einen Informanten, der erheblich dazu beigetragen hat, dessen Renommee weiter zu steigern. Da die eigene Regierung dem Geheimdienst erlaubt hat, noch unverfrorener als die Amerikaner zu schnüffeln, kann die Zeitung ihn nicht nach Großbritannien holen. Aber sie könnte wenigstens andere Staaten auffordern, ihn aufzunehmen. Erstaunlicherweise zeigen sich die Intellektuellen, die immer gern bereit sind, Persönlichkeiten, die verfolgt werden, zu unterstützen, wenig Interesse am Schicksal Snowdens. Augstein beispielsweise lobt dessen Verdienste, jedoch geht es in seiner heutigen Kolumne hauptsächlich um das eigene Wohl. Vergeblich habe ich nach einem Satz, in dem er bedauert, dass wir ihm nicht weiterhelfen können (wollen?), gesucht. Ich bin ja schon froh, dass er ihm nicht vorwirft, nach Ecuador zu gehen. (Ein Kollege aus seinem Haus schrieb, Snowden ginge zum „Presse-Knebler“. Als ob er die Wahl hätte.) Und müsste die Piratenpartei, die ständig vor dem gläsernen Staat warnt (deren jüngste Vorsitzende hat Datenschutz studiert), nicht die Bundesregierung auffordern, ihm die Einreise zu ermöglichen? Ich denke, ja. Aber auch dort herrscht beredtes Schweigen.

Wer will da noch „Whistleblower werden“? Wohl nur noch Abenteuerlustige, die tropisches Klima und andere Kulturen (so exotisch wie möglich) mögen. Dabei werden diese dringendst gebraucht, denn da der Protest gegen die Bespitzelung einen ziemlich abstrakten Charakter (viele Worte – wenige Taten) hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Geheimdienste ihre Programme zurückfahren oder gar stoppen werden. Wegen der Schnüffelei wird niemand auf die Straße gehen. Wegen Snowden schon. Die Opposition muss von der Regierung nur fordern, ihm politischen Asyl in Aussicht zu stellen.

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