The Angles‘ Share – die Engel trinken immer mit

Wie viele schlaflose Nächte bedurfte es, um endlich für einen Vorgang, der geizige Leute um den Verstand gebracht haben muss, Worte zu finden, die diesen ermöglichten, sich mit dem unerwünschten Prozess abzufinden? Da seit Menschengedenken die Schotten als knausrig eingestuft werden, vermute ich, dass jene, die davon betroffen waren, nicht lange litten. Sich damit abzufinden, dass bei der Lagerung in Eichenfässern jährlich 2 % des Whiskys verdunstet – es ist keine Seltenheit, dass dieser 15 oder 20 Jahre vor sich hin dunstet –, fällt wirklich nicht leicht. Diesen Verlust, immerhin 30 Prozent und mehr, „ Angels‘ Share“, der Anteil der Engel, zu nennen, wird die religiösen Destillerie-Betreiber vergangener Jahre ungemein beruhigt haben. Selbst Britanniens mächtige Atheisten Bewegung – deren Buswerbung „mach Dir keine Sorgen und genieß Dein Leben“ ist vielen noch in guter Erinnerung – wird nichts Anstößiges daran finden. Und es wird nicht unbedingt billiger, wenn VIPs kostenlos nippen. Ganz im Gegenteil, je durstiger die Engel, desto teurer wird das Getränk.

Ken Loach hat sich damit nicht abgefunden – er wollte –Spoiler-, dass neben den Engeln noch vier junge Glasgower, denen das Leben bisher recht übel mitgespielt hat, vom Whisky profitieren, und zwar von einem, dessen Schicksal darin liegt, bei einer Auktion zum van Gogh unter den Single Malts zu werden (das überhaupt noch etwas im Fass ist, das zufällig entdeckt wurde, gleicht einem Wunder)-Spoiler-. Zu Beginn deutet allerdings nichts daraufhin, dass sie es überhaupt schaffen würden, in illustren Kreisen nicht aufzufallen, geschweige denn in der Lage wären, mit deren Vertretern dieser Gesellschaft mithalten zu können.

Da ist Albert, Typ Kurt Krömer, nur zehnmal verrückter und unberechenbarer als das Berliner Original. Ginge es nach meiner Sympathie, würde ich schreiben, bei ihm lösten sich Genie und Wahnsinn regelmäßig ab. Immerhin hat er zwei geniale Einfälle. Der Unsinn, den er fast ausschließlich von sich geben zu pflegt, ist oft zum Schießen, nichtsdestoweniger gibt es Szenen, bei denen ich mir sagte, dass er gar nicht so unrecht hat (der einzige, der sich nicht damit abfindet, dass auf Edinburghs höchstem Berg eine Burg steht). Vor Mo ist nichts sicher – sie lässt alles mitgehen, was nicht niet- und nagelfest ist. Rhino ist der unscheinbarste. Und Robbie der smarteste. Ihm reichen ein paar geklaute Flachmänner sowie zwei Fachbücher, um zum Whisky-Experten zu werden. Andere brauchen dafür Jahre. Und geben ein Vermögen dafür aus. Bei einer Whisky-Verkostung muss er sich nur Schottlands Super-Verkoster – er darf als einziger später auch das Unikat beurteilen – geschlagen geben. Ich nehme ihn sogar ab, ein Wunderkind zu sein (einzig sein Alter, geschätzte 20, spricht dagegen). Warum? Vermutlich weil er bei der Probe nicht so wirkt, als sei er der absoluter Experte.

Wer eine reine Komödie erwartet, wird enttäuscht werden. Die knallharte und raue Wirklichkeit der vier wird keineswegs ausgeblendet. Loach beschönigt nichts, vermeidet es jedoch, den Zeigefinger zu erheben. Es ist, wie es ist. Ein wirklich sehenswerter Film. Nicht zuletzt auch wegen des liebenswürdigsten und verständnisvollsten Bewährungshelfers – alle vier müssen gemeinnützige Arbeit leisten – in der über hundertjährigen Geschichte des Films. Ich übertreibe natürlich ein wenig, denn diesen Job gibt es erst seit höchstens 50 Jahren.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert