Nun weiß ich alles über Britannien

Der Kitsch goes to (erobert, für die Deutsch-Puristen) Olympia, aber das es welcher mit Niveau war, selbst der kritischste Geschichtsprofessor wird den Organisatoren zugestehen, versucht zu haben, die Geschichtsepochen und Spezifika, die man gewählt hat, zeitgemäß und unterhaltend aufzuarbeiten, habe ich mich nicht gelangweilt, und das obwohl Szenen, die ein langes Wow ausgelöst hätten – der Motorrad-Stunt in Peking ist noch in bester Erinnerung – fehlten. Wows rief die Show zwar des öfteren hervor, jedoch hielten diese nicht so lange wie noch vor 4 Jahren an, als ich aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Und dabei deutete nichts darauf hin, dass es überhaupt große Knaller zu sehen geben würde – mit vermeintlich vorindustrieller Landwirtschaftsidylle (Hühner und Kühe, beide waren angekündigt, muss ich übersehen haben) ging es los. Ungefähr 20 Minuten brauchten hunderte Darsteller, um nach Plänen Boyles, der Mann, der Regie führte, aus der blühenden Landschaft einen Ort, aus dem überall Rauch aufstieg, zu schaffen. Spektakulär, wie die Schornsteine sich in den Himmel pumpten. Ganz im Brechtschen Sinne lief es ab – auf der einen Seite Arbeiter, die schwer schufteten, auf der andere jene, denen alles gehörte. Zusammen sah man sie nie. Nicht einmal Brunel, den Branagh spielte, wurde in die Welt des Proletariats gelassen. Hätte Boyle es damit belassen, hätte am Ende der eine oder andere verstanden, warum die Briten ihre Industrie so leichtfertig aufs Spiel setzten. Da sich aber fünf glühende Stahlringe in den Himmel erhoben, die Arbeiter waren schließlich nicht untätig, blieb zum Verarbeiten des Gesehenen keine Zeit. Deren Zusammenführung war dann wieder wow-reif, das Feuerspektakel, das sie nach ihrer Vereinigung auslösten, war noch eindrucksvoller. Nach dem Ende der industriellen Revolution sowie einem 10-minütigen Unterhaltungsprogramm hätten auch schon die Athleten einlaufen können. Der Veranstalter entschloss sich aber, noch mehr vom Leben der Britannier sowie deren Geschichte zu zeigen (als ob „Little Britain“ nie existiert hätte). Nicht dass das Restprogramm schlecht gewesen wäre. Am Ende des Teils, in dem es um das britische Gesundheitssystem ging, dürfte der eine oder andere bedauert haben, dass er als Kind dort nicht in Behandlung gewesen ist. Ich kann mich nicht beklagen – ich soll nach der Entnahme der Mandeln (Lachgas) wie wild herumgetollt sein. Vermutlich so wie die Kinder gestern. Und nach der Vorstellung britischer Kinderbücher würde es mich nicht wundern, wenn heute die Leute diese wie verrückt kaufen würden. Warum Rowan Atkinson (Mr. Bean) auftreten durfte, ist mir schleierhaft. Der hat seine Chance vor anderthalb Jahren, als er zuließ, dass William und Kate heirateten, gehabt. Nichts hat er getan, um die Heirat zu stören oder gar zu verhindern. Und warum hört die Vorzeigefamilie (Mischehe) im Vorzeigehaus nicht „Our House“ von Madness? Depeche Mode ist dort auch nicht angesagt. Im Guardian-Forum haben sie geulkt, dass das Haus nur wegen der hohen Immobilienpreise vollständig abgetragen bzw. hoch gehievt worden wäre. Beinahe hätte ich die Queen vergessen. Diesmal war sie nicht die Hauptperson (wann kommt das schon vor). Dennoch wollte man nicht auf sie verzichten – während die Zuschauer im Stadion den Aufbau der neuen Bühne verfolgten, bekamen jene vor den Fernsehern zu sehen, wie sie anreiste. Sie kam per Hubschrauber in Begleitung von James Bond. Natürlich winkt sie ihren Untertanen auch von oben aus zu. Es ist halt die Macht der Gewohnheit. Trotz dieser hochkarätigen Besetzung standen zwei andere im Mittelpunkt, nämlich die beiden Corgis der Queen. Seit gestern bin ich ein Corgi-Fan (das sind wirklich aufgeweckte und lustige Tiere). Und ich hatte sie immer für Spitze (heimtückische Hunde) gehalten.

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