Kinski, der DFB und Dostojewski

Warum nicht Manaus? Eine Parallele zu Kinski, der als vom Ehrgeiz besessener jedes Hindernis, das sich ihm in der Stadt, auf dem Amazonas und im Dschungel in den Weg stellt, beiseite räumt, was ihn zu einer Furcht einflößenden Person macht, hätte sich bei der Wahl dieses Spielortes förmlich aufgedrängt – nämlich die Vorstellung, elf Spieler des DFBs könnten zu Fitzcarraldas mutieren (die Szene, in der der schwierige Deutsche auf einem Kirchturm in Manaus wild gestikulierend ausrastet, wird der Welt immer in Erinnerung bleiben). Alleine schon der Gedanke, die Deutschen könnten sich von Kinski inspirieren lassen, hätte den Gegner (entweder Portugal, USA oder Ghana), in Angst und Schrecken versetzt. Vermutlich wäre selbst bei einer durchschnittlichen Leistung das Schreckenspotential erhalten geblieben. Die Kräfte, die die Stadt freizusetzen scheint, könnten ja erst später wirken. Den „Manaus-Effekt“ wird es nicht geben, worüber sich nicht nur deutsche Fußballfans, sondern in einem gewissen Maß auch deutsche Kulturbürger ärgern dürften. Was lag näher, als sich dort die berühmte Oper anzusehen (womöglich gar noch während des Spiels)? Daraus wird nun erst einmal nichts.

Nichtsdestoweniger können sich kulturinteressierte Fans über die Auslosung freuen – die Deutschen spielen in der Heimatstadt Jorge Amados, die eine der schönsten Städte Lateinamerikas sein soll. Die Altstadt Salvodor da Bahias gehört zum Weltkulturerbe. So eine Art Quedlinburg. Nur eben ein wenig bunter, feudaler und schicker. Katholisch eben. Und da der Juni zu den kühlsten Monaten Salvodors zählt, lohnt es sich, auch ohne Ticket anzureisen. Löw wird das anders sehen – ausgerechnet wenn es Winter auf der Südhalbkugel ist, muss er auf seine geliebten Rollkragenpullover (die sind immer dunkelgrau) verzichten. Schal geht auch nicht. (Hoffentlich mindert das nicht die Leistung der Spieler.) Bedauerlicherweise liegen die drei Spielorte der Deutschen in der Nähe des Äquators, wo es bekanntermaßen immer recht heiß ist. Zu allem Überfluss muss die Mannschaft zweimal zur besten Siesta-Zeit ran. Ein Spiel wird um 16:00 Uhr ausgetragen. Wer in Rio spielt, ist wesentlich besser dran, dafür sind die Gegner im Süden stärker. Werden die Spieler durchhalten? Ich bin skeptisch.

Warum kommt Dostojewski (ARTE strahlt seit vorgestern die Serie aus) bei deutschen Kritikern äußerst schlecht weg? Gerade mal zwei Zeitungen (Zeit und TAZ) haben sich entschließen können, den Film vorzustellen. Diese Ignoranz macht eine Presse, die aus jeder Tatort-Folge eine mediales Großereignis macht, verdächtig, deutsche Serien zu bevorzugen. Beide Kritiker verreißen ihn. Als ich am Donnerstag guckte, hatte ich schon Angst, mit meinem Geschmack könne es nicht mehr weit her sein. Gestern kam Entwarnung – auch die Schweizer sind voll des Lobes über den Film. Ist deutschen Kritikern die russische Seele zu undeutsch? Gut möglich, dass die Schweizer mehr mit den Russen als mit uns gemein haben (eine stoische Ader haben Eidgenossen ja auch). Ich finde den Hauptdarsteller (Jewgeni Mironow), da natürlich, grandios. Selbst schwierigste Szenen, bspw. einen schweren Epilepsie-Anfall, meistert er souverän, sprich so, wie ich mir Attacken dieser Art vorstelle. Nie spielt Mironow affektiert. Er übertreibt nicht, ist immer zurückhaltend, was ganz der Zeit entspricht. Dennoch habe ich immer gewusst, wie er sich im Augenblick fühlt. Was er im Augenblick denkt. Ich weiß wirklich nicht, warum der Film hier nicht ankommt. Um Klassen besser als der „Mutter-Vater-Heldenepos“.

Berichtigung: Mein Gedächtnis hat mich Lügen gestraft – die Handlung spielt in Iquitos. Wenigstens kann ich mich noch daran erinnern, dass er das Opernhaus in Manaus besucht. Lange her, dass ich den Film gesehen habe.

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Eine Antwort zu Kinski, der DFB und Dostojewski

  1. KT sagt:

    Mir leuchtet etwas ein, weshalb die Serie nicht so ankommt. Sie entspricht halt nicht den aktuellen Sehgewohnheiten und auch nicht den eben gerade vergangenen. Sie erscheint behäbig. Dabei war Dostojewskis Leben immer hektisch und dramatisch. Auch war er nicht immer zurückhaltend. Oft verlor er die Beherrschung und machte sich lächerlich. Es ist ein etwas statischer Film und ein wenig zu bedeutungsschwanger.
    Gut an dem Film ist, dass es kein russisches Heldenepos geworden ist. Das hätte gut passieren können.
    Ich schau mir trotzdem die nächsten Teile an 😉

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