Eine schöne Stadt kann nichts entstellen

Wenn Thierse sich nach der Zeit, als in Berlin noch „geickt“ wurde, sehnt, Bowie jene Epoche nicht vermissen möchte, in der mit dem bloßem Auge mehr als jene 256 Grautöne, die sich als Webseitenfarbe (per Code) fertigen lassen, auszumachen waren, sowie Dietz die BRD sich so, wie sie vor 1985 aussah, zurückwünscht, ist es höchste Eisenbahn, dass auch dem Kolumnisten die Nostalgie-Tränen in den Augen stehen. Zu meinem großen Erstaunen kommt nichts. Nicht einmal eine Krokodilsträne bringe ich zustande.

Dabei gäbe es gute Gründe, vielem, was nicht mehr existiert, nachzutrauern, glücklicherweise lässt die am Wochenende gewonnene Erkenntnis, dass nur etwas, was dem Alten ähnelt, einstige Größe zurückbringen würde, gar keine Melancholie aufkommen lässt. Konkret heißt das, dass selbst eine Kopie des gleich nach Silvesters eröffneten Waldorf-Astorias in Berlin Halles Riebeckplatz optisch nicht wesentlich attraktiver machen würde – das Motto „außen pfui, innen hui“ kann sich die Stadt nicht leisten. Als beide leer standen, brauchten jene, deren Job es ist, Halle in einem guten Licht darzustellen, nicht mal Mühe machen, Reisenden, die per Bahn oder Auto nachts an ihnen vorbeifuhren, zu suggerieren, beide Bauten wären bewohnt – die dunklen Gebäude machten auch so den Platz freundlicher. Es ging also ohne einen Hausmeister, dessen Aufgabe daran bestanden hätte, dafür zu sorgen, dass spätestens ab 5 Uhr im Winter wenigstens ein Licht auf jeder Etage brennt.

Nun herrscht gähnende Leere, und zu allem Überfluss hat es noch den Anschein, als ob Halles Innenstadt vom Bahnhof wegrücken würde, was den Nahverkehrsbetrieb freuen dürfte. Vermutlich hat der den Planern geraten, den Weg mit Kopfsteinen zu pflastern (Willkommen im Mittelalter!) – man braucht nun festes Schuhwerk, um zu Fuß ins Zentrum zu kommen. Mit der Straßenbahn geht es wesentlich bequemer. Während die Stadt schrumpft (Einwohnerzahl) und älter wird, werden die Straßen immer breiter. Gott sei Dank gibt es nur noch einen Platz, der nach dieser Maxime umgestaltet wird, ich der Fairness halber einräumen muss, dass Fußgänger und Straßenbahnnutzer sich an der autogerechten Umgestaltung (was nicht unbedingt heißt, dass das Fahren mehr Freude bereiten wird) des Steintors nicht groß stören werden. Aus den Augen, aus dem Sinn – diesmal ist es ein Park, der beide von den Autofahrern trennt. Am Ende wird der Platz kein Platz mehr sein, sondern drei Bereiche (Fußgängerzone, Park und vierspurige Straße) umfassen. Die Gemütlichkeit ist dann dahin. Schade, dass kein Entwürfe, über die jetzt diskutiert, vorsieht, das alte Umsteigedreieck, das nur vergrößert werden muss, zu neuem Leben zu erwecken.

Die Stadt, die niemals schläft, hat es in dieser Hinsicht besser – da verlaufen die Straßen immer noch so wie vor 150 Jahren. Nur die Hausfassaden ändern sich dort. Gut, dass Halle eine schöne Stadt ist.

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