Arme Weltkulturerbe-Besucher – warum plagt man deren Gewissen?

Hat eine Stadt das Glück, alle Stätten, in denen deren berühmtesten Einwohner (erstaunlicherweise gebar sie keine großen Söhne und Töchter) lebten, arbeiteten und lustwandelten, originalgetreu Interessenten präsentieren zu können, ist sie natürlich daran interessiert, dass eine unabhängige und sehr angesehene Organisation möglichst allen in Frage kommenden Gebäuden und Anlagen ein Siegel verleiht, mit dem nicht einmal „Made in Germany“ konkurrieren kann. Weimar hat es geschafft, diesen Qualitätsstempel gleich elfmal zu erhalten. Um bei jenen, die außerhalb der Stadt leben, keinen Neid aufkommen zu lassen, entschloss man sich, die Orte unter dem Titel „Klassisches Weimar“ zusammenzufassen. Nun bittet das Land Thüringen, die Unesco, jene Organisation, die das begehrte Prädikat „Weltkulturerbe“ nach gründlicher Prüfung verteilt, darüber zu entscheiden, ob dem KZ Buchenwald auch dieser Status zuteil werden kann (dem Antrag müssen die Bundesländer noch zustimmen). Ich halte dies für keine gute Idee, und das nicht nur weil sich Besucher, vornehmlich Ausländer, die kommen, um etwas über Goethe und Schiller zu erfahren, verpflichtet fühlen könnten, die Gedenkstätte zu besuchen. Zu lesen, dass sich in unmittelbare Nähe der Stätten ein Ort, der für die Welt von Bedeutung ist, befindet, löst bei jedem, der darüber Bescheid weiß und darum keine Lust verspürt, sich das Lager anzuschauen, ein schlechtes Gewissen aus. Und das ausgerechnet auch bei jenen, deren Großeltern und Urgroßeltern unter den Deutschen schwer zu leiden hatten.

Angesichts der Torturen, die speziell Häftlinge, die keine Deutsche waren, durchmachten, sowie wegen der vielen Ermordeten (unter anderem gab es Massenerschießungen sowjetischer Kriegsgefangener) ist es nicht ausgeschlossen, dass die Unesco dem Antrag zustimmt (circa 95 Prozent kamen aus den besetzten Ländern, einige Prominente, bspw. Blum und Daladier, saßen dort ein).

Matschie, der als Kultusminister Thüringens für die Bewerbung verantwortlich ist, meinte, es gehe darum, die „Gesamtbedeutung des Doppelortes Weimar-Buchenwald“ herauszustellen“ – zwei Epochen, Klassik und Nationalismus, seien in beiden Orten untrennbar miteinander verbunden. Das ist natürlich Unsinn, denn in der Stadt lassen sich nur die Hinterlassenschaften beider Epochen finden. Nichts verbindet sie. Die Klassiker werden geehrt, der Opfer wird gedacht. Dass anhand deren unmittelbarer Nähe sich anschaulich zeigen lässt, wie weit die Inkarnation des „Bösen“ in den Hort des „Guten“ eindrang, ist eine ganz andere Geschichte. Der weithin sichtbare Glockenturm, der in den 50er Jahren entstand, macht zwar deutlich, dass die Nazis über der Stadt und damit den Menschen thronten, jedoch erweckt er auch den Eindruck, als hätten die Nazi mit dem Lager geprahlt. Es war gut versteckt. Während der Nazizeit hat vermutlich kaum jemand an die Häftlinge gedacht. Dass das 10 km entfernte Lager heute bequem mit dem Bus erreicht werden kann, darf bei der Beurteilung keine Rolle spielen. Und selbst wenn es den Nachweis, dass die SS den Ettersberg wählte, weil Weimar Hochburg der Nazis war, geben würde, wäre das kein Grund, in der engen Nachbarschaft zur Stadt der Klassiker ein Entscheidungskriterium zu sehen. Nur die Geschichte und Bedeutung des Lagers sollten ausschlaggebend sein.

PS: Warum halten deutsche Journalisten nur Diskussionsrunden, in denen die Fetzen fliegen, für sinnvoll? Precht ist das nächster Opfer dieses Irrglaubens. Zu harmonisch, zu ruhig, zu ausgeglichen sei seine erste Sendung gewesen. Ich fand sie ausgezeichnet (habe leider den Anfang verpasst). Sehr informativ. Und es ging zügig voran. Seit gestern habe ich den Eindruck, dass Slotterdijk und Safranski erst 10 Minuten vor dem Sendebeginn ihres „Philosophischen Quartetts“ wussten, über was sie diskutieren würden.

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