Verrückt, verrückter, „Birdman“

Da der Anfang vieler Dinge schwer ist, ja dieser so steinig sein kann, dass er sich über Jahre hinzieht, hat der Mensch Mittel zur Entspannung erfunden, die zu produzieren zwar unheimliches Können erfordert, der Konsument es sich aber nur in seinem Stuhl bequem zu machen braucht, um sie genießen zu können. Eine dieser Erfindungen ist der Film, der ab der ersten Minute dazu da ist, uns zu unterhalten. Natürlich gibt es Ausnahmen. Zu denen gehört „Birdman“, dessen Kakophonie zu Beginn mich nach drei Minuten veranlasste, mir eine Strategie zu überlegen, wie ich aus dem Saal gelangen könnte, ohne geistigen und psychischen Schaden zu nehmen (immerhin dauert der Film 119 Minuten). Ich hatte absolut nicht die Absicht, so wie Michael Keaton zu enden, dessen Kopf einem Radio gleicht, das automatisch die Sender wechselt, ohne jedoch lästige Suchgeräusche zu verursachen, was ich als großes Glück empfunden habe (da fällt mir ein – gibt es noch Kurzwellensender?). Dass derjenige, der die ganzen Störungen verursacht, ausfällt, ist ein Glücksfall, denn nun muss „Birdman“, der im Begriff ist, ein Theaterstück, in dem er die Hauptrolle spielt, zu inszenieren, die Rolle neu besetzen. Er (und wir) werden weiter vom Glück verfolgt – per Zufall gewinnt er einen weiteren Star. Von nun an geht es bezüglich des Sehvergnügens unaufhaltsam aufwärts, während die Disharmonien langsam weniger werden. Der Zuschauer muss sich nicht mehr plagen. Er kann sich uneingeschränkt dem Geschehen widmen. Und das hat es in sich, denn es gibt kein Problem (von Naturkatastrophen mal abgesehen, jedoch hätte ein Stromausfall, hervorgerufen durch einen Hurrikan – das ist halt die Krux mit der Klimaerwärmung –, während der Proben die Spannung nur unwesentlich erhöhen können), das sich ihm nicht in den Weg stellt. Die sowie eine Stimme, die, da sie einerseits voranbringt, andererseits hemmt, zugleich Fluch und Seegen ist (was würde Freud dazu sagen?), treiben „Birdmann“ immer wieder aufs Neue an. Keaton zuzusehen, wie er sich durch die Proben quält, bereitet ungemein viel Vergnügen. Der Mann ist in Trance. In einer Art Rausch, der ihm erlaubt, alles, was seinem Erfolg schaden könnte, auszublenden. Irgendwie beneidenswert. Dass keine der Proben der Szene, mit dem das Theaterstück endet, wie die andere abläuft, scheint niemanden zu stören (vielleicht ist es auch normal). Improvisieren ist angesagt. (Das erinnert mich an Karl Valentin, mit dem es Liesl Karstadt recht schwer hatte – sie musste immer damit rechnen, dass er vom Text abwich.) Angesichts der hervorragenden Schauspieler hat es mich nicht gestört, dass sich der Regisseur, in dem er von Zeit zu Zeit den echten Birdman neben Keaton auftreten lässt, nicht ganz dem heutigen Geschmack entziehen kann. Oft sind solche Szenen albern. Hier fand ich sie toll (sie wie auch in „Beast of Southern Wild„). Ein Film, den man unbedingt sehen muss. Dank Keaton werden Falten bald wieder mega-in sein. Der Mann, der für seinen Körper nur das Nötigste tut, ist wieder en vogue.

Diese Formel hätte, so mein Eindruck, auch Poroschenko beherzigen sollen. Stattdessen hat er sich darauf eingelassen, wieder den Kampf gegen die Separatisten aufzunehmen. Mit verheerenden Folgen – 10.000 Mann sollen in Debalzewe eingeschlossen sein. Als schon klar war, dass sich ein Kessel nur schwer vermeiden lassen würde, soll das Militär noch Truppen dahin beordert haben. Nun fehlen die Leute, die sie entsetzen könnten. Die Kriegsführung der Ukrainer ähnelt jener der Wehrmacht, die jede wichtige Stadt bis zum bitteren Ende zu halten versucht hat. Dabei haben sie genug Raum, sich zurückziehen. Warum kommt niemand auf den Gedanken, die Front um zig Kilometer zu verkürzen? Die Russen hätten allen Grund zur Freunde, wenn nicht so viele Menschen unter deren Fanatismus leiden würden. Noch erstaunlicher als die Kriegsführung der Ukrainer ist das Verhalten der deutschen Medien – sie weigern sich, über diese Entwicklungen zu berichten. Bevor nicht der ukrainische Presseoffizier erklärt, sie seien eingeschlossen, rührt sich nichts. Horrormeldungen wie jene, die besagt, die Ukrainer hätten hinter der Front Krematorien eingerichtet, um die Toten nicht beerdigen zu müssen, werden ignoriert. Niemand ist an einer Aufklärung interessiert. Vermutlich ist es nie so leicht gewesen, das Kriegsgeschehen zu vertuschen. Und das im Informationszeitalter. Grotesker geht es wirklich nicht.

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2 Antworten zu Verrückt, verrückter, „Birdman“

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