Toller Abschluss, heuchlerische Politiker

Zwar konnte Anna Netrebko Korrektur mit dem Lied, das sie ziemlich am Ende der Abschlussveranstaltung in Sotschi vortrug, Sarrazins neueste These, es würde mehr kluge Männer als kluge Frauen geben, nicht entkräften, aber wenigstens schaffte sie es, den Männern zu zeigen, dass Frauen genauso mutig wie sie sein können – auf dem Bug eines Segelbootes stehend schipperte sie geschätzte fünf Meter über dem Boden im Stadion umher. Ein Glück, dass niemand auf die Idee gekommen ist, aus Kostengründen auf die Reling zu verzichten. Im Ernstfall hätte die ihr sowie den beiden Kindern, die mit an Bord waren, wohl keine Sicherheit geboten. Gott sei Dank ging alles glatt. Während sie sang, verwandelte sich alles unter ihr – passend zum Lied, in dem die Mimosa, die jetzt in dieser Gegend blüht, besungen wird – in Gelb. So bunt und farbenprächtig, wie die Spiele begannen, endeten sie, ja für meinen Geschmack haben die Russen es sogar geschafft, die Eröffnungsfeier, von der alle so begeistert waren, zu toppen. Spektakuläres blieb diesmal außen vor. Dafür fand ich die Show einfallsreicher und origineller, auch weil der Regisseur, ein Schweizer, mehr die Akteure und deren Kunst in den Vordergrund stellte. Die Moderation, nun in Hand der ARD, konnte da nicht ganz mithalten. Die beiden redeten an den unpassendsten Stellen, was recht nervig war. Warum holt man nicht Leute, die im Showgeschäft sind? Oder bittet den Veranstalter, Untertitel einzublenden?

Da wir seit einigen Tagen wieder in Zeiten leben, in denen Kreml-Astrologen gefragt sind, halte ich es als Hobby-Deuter für wichtig, zu erwähnen, dass Putin während der Feier herzhaft gelacht hat. Das ist an sich schon außergewöhnlich. Angesichts der Entwicklung in der Ukraine, die die Russen zum Zuschauen verdammte, mag dies vielen als unfassbar erscheinen. Aber er hat sich wirklich amüsiert. Und er sah nicht danach aus, als hätte er wegen Janukowitschs Ablösung eine schlaflose Nacht verbracht. Die Russen waren darauf vorbereitet. Ihnen war von vorneherein klar, dass er nicht die Mittel hat, den Maidan zu räumen. Dazu hätte es tausender Polizisten bedurft. Die hatte er nicht. Die Russen haben ihm zudem nicht geholfen, welche anzuwerben. Ihm blieb nur übrig, den starken Mann zu spielen. Der Versuch, den Platz zu räumen, konnte für ihn nur im Fiasko enden. Die russischen Geheimdienste müssen das zumindest geahnt haben. Sie wussten auch, dass Janukowitsch darauf verzichten würde, den Helden zu spielen, was für ihn bedeutet hätte, so wie Allende, dem nicht anderes übrig blieb, als sich zu verteidigen, zu enden. (Dann wäre, wie von mir befürchtet, womöglich noch heute in Kiew heftig gekämpft worden.) Wer es sich so behaglich wie Janukowitsch macht – Privatzoo, großes Segelschiff, vermutlich für die Enkelkinder –, der geht nicht bis zum Letzten. Dafür hängt er viel zu sehr am Leben.

Der Westen ist nicht unbedingt besser – statt die Russen in die Verhandlungen, an deren Ende unter anderem vereinbart wurde, im Dezember einen Präsidenten zu wählen, einzubeziehen, haben die drei Außenminister ohne sie versucht, als Friedensstifter in die Geschichte einzugehen. Nun tun sie so, als seien sie völlig darüber überrascht, dass schon im Mai gewählt wird. Dabei haben vorher schon gewusst, dass er sich keine 24 Stunden mehr im Amt halten wird. Obwohl überall zu lesen ist, Russen und Ukrainer könnten unterschiedlicher nicht sein, will der Westen das Land zusammenhalten. Warum? In Jugoslawien hat man noch eine ganz andere Politik betrieben. Die Schotten dürfen im September abstimmen, ob sie in der Union bleiben. Den Ukrainern verwehrt man das.

Früher haben die damaligen Großmächte in Polen gewerkelt, heute treiben sie in der Ukraine ihre Machtspiele. Und denken wirklich, wir nehmen ihnen ab, was sie von sich geben.

Korrektur: Wo war ich nur mit meinen Gedanken – Netrebko hat nicht gesungen. Eine Sängerin aus Abchasien stand auf dem Schiff. Ich weiß nicht, ob die Georgier, die das Land, das südlich von Sotschi beginnt, wieder zurückhaben wollen, deren Wahl als Provokation aufgefasst haben. Eine kluge Frau mehr. Es wird eng für Sarrazin.

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