Sarah Lund und der Papst

Was für ein genialer Schachzug, uns eine Stunde lang im Dunkeln darüber, ob Lund wieder zur gewohnten Form finden würde, zu lassen. Sie will nicht mehr „kriminaliseren“, was nach 25 Dienstjahren, in denen ihr, wie wir aus Killing I und II wissen, das Glück nicht gerade hold war, recht verständlich ist. Ihr Ziel es ist, unbedingt einen Schreibtischposten zu ergattern, und erst als sich die Ereignisse überschlagen, erwacht ihr Jagdinstinkt – auf einmal ist wieder die Lund, wie wir sie kennen: eigensinnig, schroff, kurz angebunden, mutig, entschlossen, risikofreudig. Ein Meisterstück des Drehbuchautors, uns ein wenig zappeln zu lassen. Umso mehr müssen sich deren Fans, zu denen ich auch gehöre, darüber gefreut haben, erleben zu dürfen, wie sie wieder ihre Umgebung vor den Kopf stößt – sie handelt wieder auf eigene Faust (alle sind dankbar, dass sie wieder die alte ist). Vermutlich liegt darin auch ihr Erfolgsgeheimnis – Lund tut das, was die meisten gerne in ihrem eigenen Job auch tun würden, jedoch in den seltensten Fällen sich erlauben können. Aber selbst als Hauptkommissarin hat sich noch unter dem männlichen Chauvinismus zu leiden – während ihr Vorgesetzter ihren Partner, der aus einer anderen Abteilung kommt, den reichsten Eltern Dänemarks vorstellt, bleibt sie außen vor.

Wer vor 11:00 Uhr ins Bett gegangen ist, hat die „Jägerin“ Lund verpasst, was die Frage (von der ich glaube, dass zu denen gehört, die bis zum Untergang der Welt unbeantwortet bleiben) aufwirft, warum das ZDF die guten Serien immer erst am späten Abend ausstrahlt. Jenen, die nicht bis kurz vor 12 wachgeblieben sind haben, kann ich versichern, dass sich das Durchhalten lohnt. Würde das befohlen werden, wäre dies der erste vernünftige „Durchhaltebefehl“.

Eines solchen hätte es vermutlich bedurft, um Benedikt XVI. zum Weitermachen zu bewegen. Wer könnte den erteilen, wenn Benedikt selbst Stellvertreter Jesu Christi auf Erden ist? Natürlich niemand, und das ist gut so, denn nichts wäre schädlicher für die Kirche als ein Mann, der, weil er der Meinung ist, das Amt nicht mehr so ausführen zu können, wie er es gern tun würde, nur noch wider Willen Oberhaupt der katholischen Kirche ist. Natürlich würde er versuchen, diesen zu verbergen. Die Menschen jedoch würden es merken. Ein Papst, der seinen Job ungern macht, weil Körper und Geist nachlassen, was ihn sehr grämt, muss in den Ruhestand gehen. Als Papst muss man nicht unbedingt fit wie ein Turnschuh sein. Wichtig ist nur, dass man gerne Papst ist, was die Öffentlichkeit auch spüren muss. Johannes Paul II. ist das beste Exempel. Dessen Gebrechlichkeit hat der Kirche nicht im mindesten geschadet.

Wird der neue Papst genauso enthusiastisch wie all seine Vorgänger von der Menge auf dem Petersplatz empfangen werden? Ich bin mir nicht sicher. Persönlich ist mir nicht nach Papstwahl. Sie kommt einfach völlig unerwartet. Bei Benedikts Wahl lagen die Dinge natürlich ganz andern – 2005 wusste jeder, dass Johannes Paul bald sterben würde. Jeder hat sich darauf eingestellt. Trauer und Euphorie sind immer eng verknüpft gewesen. Kann es ohne Trauer überhaupt Euphorie geben? Dieses Ritual, das über Jahrhunderte glänzend funktionierte, existiert auf einmal nicht mehr. Ein neuer Papst ohne Trauerfeier? Ohne das einwöchige Prozedere, das Spiritualität auf auf höchstem Niveau bietet (keine Liturgien mehr)? Ich wage gar nicht daran zu denken. Bis gestern war das undenkbar. Über Nacht wurde ein Rhythmus, der seit hunderten Jahren praktiziert wird, unterbrochen. Das könnte der katholischen Kirche schwer zu schaffen machen. Dass nach knapp 500 Jahren wieder ein Deutscher für Aufregung sorgt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert