Hoffentlich legt sich die Aufregung

19 Seiten (Taschenbuchausgabe) widmete Stefan Zweig in seiner Biographie über Marie Antoinette ihrem Prozess, dessen chaotischer Ablauf – die Beweisführung war höchst dilettantisch – die Geschworenen nicht davon abhielt, die ungeliebte Habsburgerin (für Herrn Buschkowsky – selbst Königinnen haben Schwierigkeiten, in der Fremde heimisch zu werden) auf die Guillotine zu schicken. Dank des Internets habe ich den Eindruck, über den ersten Tag im Prozess gegen Zschäpe ein dünnes Buch, in dem es mindestens sechs Varianten vom ersten Kapitel gibt, gelesen zu haben. Wo soll das enden? Jede der besuchten Seiten wartete mit mindestens drei Artikeln auf. Sollten die sechs Zeitungen sich weiterhin derart interessiert zeigen, ist jede von ihnen in der Lage, nur wenige Tage nach der Urteilsverkündung ein Buch über das Verfahren zu veröffentlichen. Vermutlich sogar zwei.

Noch bin ich skeptisch. Ich glaube, keine wird die erforderliche Seitenanzahl zusammenbekommen. Auch weil ihr Hosenanzug kommenden Dienstag bereits mega-out sein wird. Und kein Label eine „Nazibraut“ einkleidet. Erst recht nicht, wenn ihr vorgeworfen wird, an Morden beteiligt gewesen zu sein. Nächste Woche geht es also richtig los. Und wir bestimmt erst dann wieder etwas aus München hören, wenn es etwas wichtiges zu vermelden gibt, was angesichts des Superlativs, den viele Berichterstatter und Kommentatoren verwenden haben (einer der wichtigsten Prozesse, der je stattgefunden habe), sowie des Vergleichs mit dem Ausschwitz- und Stammheimprozess (historisch am bedeutendsten) mich verwundert. Leider äußert sich Wiki darüber nicht. Um herauszufinden, was beide Prozesse bewirkt haben, muss man googeln. Oder es erahnen (bzgl. Stammheim tue ich mich schwer damit). Die englische Seite ist in diesem Punkt informativer.

Was macht einen Prozess zu einem der historisch bedeutendsten? Sicherlich sind das Verfahren, die darüber Aufschluss geben, warum und wie Taten, die eine Gesellschaft erschüttert haben, begangen wurden. Das Ob steht, trotz der Unschuldsvermutung, eigentlich außer Frage, da es jede Menge Belastungsmaterial gibt und auch viele Zeuge zur Verfügung stehen. Lt. diverser Einschätzungen ist es jedoch keineswegs sicher, dass ihr eine Beteiligung nachgewiesen werden kann, was ziemlich absurd erscheint, hat sie doch mehr als 13 Jahre mit den Mundlos und Böhnhart zusammengelebt. (Man ist ja leicht dabei, sich zu überschätzen. Nichtsdestoweniger hält es mich nicht davon ab, zu behaupten, dass sich die Indizien widerlegen lassen.) Und wenn das Gericht aufgrund von Indizien zum Schluss kommen sollte, sie sie involviert gewesen, wird immer noch offen bleiben, nach welchen Gesichtspunkten das Trio seine Opfer wählte. Für deren Angehörige ist das sehr wichtig. Warum ausgerechnet sie? Und da den Behörden zu viele Fehler unterlaufen sind, liegt die Vermutung nahe, sie seien an der Aufklärung der Morde nicht sonderlich interessiert gewesen. Ob die Verhandlung diesen Eindruck widerlegen kann, wage ich zu bezweifeln.

Im Gegensatz zu Marie Antionette braucht Zschäpe nicht fiese Anschuldigungen fürchten (ihr wurde vorgeworfen, sie habe ihren Sohn missbraucht). Dieser Vorwurf sowie die Art und Weise, wie sie sich verteidigte (sehr geschickt, und das ohne Anwalt), trugen dazu bei, die Franzosen milder zu stimmen. Ihr Ansehen wuchs. Sollte Zschäpe eine milde Strafe bekommen, hätte sie das einzig und allein ihren Anwälten zu verdanken.

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Eine Antwort zu Hoffentlich legt sich die Aufregung

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