Halle ist auch Shakespearestadt („Coriolanus“)

Vorgestern wurde mir wieder bewusst, dass live nicht gleich live ist. Ich weiß nicht, wie ich das vergessen konnte. Vielleicht habe ich zu viele Fußballspiele am Fernseher verfolgt. Vor dem habe ich es so bequem, dass ich gar keine Lust mehr verspüre, ins Stadion zu gehen. Ähnlich kuschelig sind die Sessel auch im Kino. Im Theater sind die Sitze härter und schmaler, die Beinfreiheit ist viel geringer. Die Enge dient dazu, es dem Zuschauer nahezu unmöglich zu machen, sich hinzulümmeln. Schließlich dürfen die Schauspieler nicht durch Leute, die keinen Hehl daraus machen, dass sie sich langweilen, verunsichert werden.

Wäre ich unter jenen 251 gewesen, die am Donnerstag „Cariolanus“ im Dammar Warehouse, in dem früher Bananen reiften, vor Ort gesehen haben, hätte ich die Vorstellung – schon aus Angst, ein Schauspieler könne es wagen, mich mit einer roten Flüssigkeit zu bespritzen (es floss viel Blut, wie sich eben für ein Stück Shakespeares gehört) – aufrecht und kerzengerade sitzend verfolgt. Da die Bühne drei Zuschauerränge, deren Bestuhlung sich von der Ebene der Spielfläche gerade mal zwei oder drei Reihen noch oben arbeitet, umrahmen (Shakespearebühne), wäre es nicht sonderlich schwer gewesen, auf mich ein Attentat, von denen es im Stück einige gibt, auszuüben. Auf eines mehr oder weniger wäre es da nicht mehr angekommen. Dieser Angst hätte es angesichts des Könnens der Schauspieler sowie der ausgefeilten Choreographie (bei nicht vorhandenen Kulissen ist Schnelligkeit Trumpf) vor Ort gar nicht bedurft.

Im Kino war das ein wenig anders, denn anfangs habe ich mich mit dem Stück recht schwer getan. Es wurde mir zu sehr geschrien (der Hauptgrund, warum ich nicht gern ins Theater gehe). Leider schreien die heutigen Schauspieler recht schrill. Und laut. Früher, so mein Eindruck, wurden die Akteure dezenter laut. Ihren Schreien war noch eine Melodie herauszuhören. Dann habe ich mich daran gestört, dass keiner der Schauspieler seine Stimme moduliert. Vermutlich lag das am Stück, in dem für Ironie und Witz kein Platz ist. Gut möglich, dass die Akteure heute zu schnell sprechen, darum auch keine Zeit haben, ihren Ausdruck zu variieren. Diese stimmliche Eindimensionalität hat es mir nicht unbedingt leichter gemacht, das Geschehen auf der Leinwand mit der gebührenden Aufmerksamkeit zu verfolgen.

Das fast ausnahmslos junge weibliche Publikum brauchte gegen diese Widrigkeiten nicht anzukämpfen. (Jungs scheinen kein Abi mehr zu machen. Niemand von denen studiert Englisch. Auch zukünftige Generationen werden wegen des Fehlens männlicher Lehrer benachteiligt sein.) Die waren voll bei der Sache (natürlich ging es nicht ohne Popcorn). Auch die Bemerkung der Moderatorin, die, als sie in der Pause die Regisseurin des Aufführung interviewte, bemerkte, dass MTV Hiddleston, der den Coriolanus spielte, zum sexiest man alive gekürt habe, konnte meine Bewunderung nicht trüben. Wäre ich Englischlehrer, hätte ich am Freitag vor der Klasse verkündet, ein Fan Hiddlestons würde mir drei Justin Biebers ersetzen. Ich bin mir sicher, dass ich der einzige wäre, der über die Bemerkung gelacht hätte. (Ohne Kardinal Meisner wird das Leben wieder ein Stück langweiliger).

Der nächste Termin einer Übertragung steht schon fest. Am 26.02. läuft „Frankenstein“. Die besten Plätze sind bereits vergeben. Wer rein will, kann nur darauf hoffen, dass einige ihre Tickets nicht abholen. Angesichts dieses Zuspruchs ist es an der Zeit, dass auf der Webseite des National Theatre’s Halle als Veranstaltungsort vermerkt wird.

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