Unaufhaltsam dem Abgrund entgegen?

Für alle Leser, die aus gegebenen Anlass eine Guy-Fawkes-Maske getragen haben (Karnevalsveranstaltungen gehören nicht dazu), heißt es nun, Stärke und Standhaftigkeit zu zeigen – nicht Ihr seid es, die am ehesten ein Pulverfass zur Explosion bringen können, sondern unsere Politiker. Dabei ist die Explosion an sich nicht sonderlich interessant, sondern welcher List und Tücke sich die Feuerwerker bedient haben, um ihr Pulver an der richtigen Stelle zu platzieren und zur rechten Zeit hochgehen zu lassen. Fawkes‘ Geschichte ist nicht besonders aufregend. Vermutlich ist die Story des Protagonisten V, dessen Maske viele Protestler tragen (ich hoffe, man verzeiht mir die Einleitung), wesentlich spannender. Angesichts der vielen Sprengladungen, die schon explodiert sind bzw. noch darauf warten, in die Luft zu fliegen, ist es erstaunlich, dass sich bisher keine Zeitung (ich denke da in erster Linie an den Guardian) die Mühe gemacht hat, den Film, in dem Sprengungen besonders anschaulich und packend in Szene gesetzt werden, zu prämieren. Meine Nummer Eins ist „Die Kanonen von Navarone“. Bevor alles in die Luft fliegt, hat der Regisseur den Fahrstuhl, an dem ein Zünder versteckt ist, in einem Bunker, von dem die Deutschen dank ihrer schweren „Doras“ (während der Filme reine Fiktion ist, hat es die wirklich gegeben) einen Teil der Ägäis kontrollieren, mindestens zweimal hoch und runter fahren lassen (übrigens hat das G36 gewisse Gemeinsamkeiten mit dem Geschütz).

Wer meint, Politiker wären nicht imstande, derart Spektakuläres zu vollbringen, irrt – ist es nur eine Frage der Perspektive. Leider werden wir nicht so alt, um den Zeitraum, den sie brauchen, etwas hochgehen zu lassen, als fesselnd zu empfinden. Um das, was in den letzten anderthalb Jahren in der Ukraine abgelaufen ist, als Blockbuster genießen zu können, müsste man sicherlich mehre zehntausend Jahre alt werden bzw. sein. Mit der heutigen Entscheidung, die Ukraine sich selbst zu überlassen, ist das Ende der Story höchst ungewiss. An ein Happyend glaube ich aber nicht. Wie schaffen heutige Politiker es nur, überall Chaos anzurichten? Fast habe ich den Verdacht, dass der Kalte Krieg uns verwöhnt hat. Gab es Krisen, wurden die schnell gelöst. Jede Seite hat ihre spezielle Methode, wieder Herr im eigenen Haus zu werden. Länder, die sich keinem Pakt anschließen wollten, wurden heftigst umworben. Jeder Neuling ist mit Kusshand begrüßt worden. Verräter, die ihre Tat bereuten, wurden wieder aufgenommen. Sicherlich denken viele in der Ukrainer, dass die alten Regeln noch gültig sein würden. Spätestens heute muss ihnen klar sein, dass dem nicht so ist. Aus der Hochzeit mit dem alten Europa wird nichts. Das Land ist auf sich allein gestellt. Nur der Umstand, dass Putin an allem schuld sei, hält es noch zusammen. Und der weiß, dass es keinen Sinn macht, der Ukraine zu offerieren, Milliarden in die Wirtschaft pumpen zu wollen – bei der erstbesten Gelegenheit wären die eh wieder weg. Aus diesem Grund wäre es den Russen wohl ganz recht, wenn die EU sich großzügiger gegeben hätte, auch um zu verhindern, dass die Feindschaft gegenüber den Russen zur Staatsideologie wird. Journalisten, die schreiben, Putin käme dieses Ergebnis gelegen, liegen völlig falsch – niemand möchte jemanden, der ihn am meisten hasst, als Nachbarn haben.

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