Müssen die Grünen in den „Gemüse-Krieg“ ziehen?

Glück gehabt, denn während der hiesigen Regionalzeitung der Vorschlag in ihrer heutigen Ausgabe ein Pro und Contra wert gewesen ist, hat die Tagesschau gestern nicht darüber berichtet, was angesichts des Protests, der, könnten Worte Winde entfachen, wenige Minuten nach Bekanntwerden der Idee bereits Orkanstärke erreicht hätte, im Internet den Grünen wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein muss – in Halle wählt sie eh kaum einer, bundesweit jedoch kommen sie auf rund 15 Prozent. Damit das so bleibt, darf niemand erfahren, dass sie planen, donnerstags oder freitags jede deutsche Kantine zur Rohkost-Zone erklären zu wollen. Das wird schwer, denn die politischen Gegner werden diesen Fauxpas genüsslich ausschlachten.

Ich finde nur die Wortwahl peinlich – statt eines Gemüse-Tages wünschen sie sich einen „Veggie Day“ herbei, was mich veranlasst, zu vermuten, in einer deutschen Kantine können sich nur Leute, die Englisch können, zurechtfinden. Arbeitnehmer, die diese Sprache nicht beherrschen und auf Köche treffen, die sich weigern, deutsch mit ihnen zu sprechen, wären unter diesen Umständen ganz schlecht dran. Wenn es ganz dumm läuft, müssen sie in der Kantine verhungern. Ganz korrekt finde ich die Bezeichnung nicht, denn nichts spricht dagegen, den Gemüse-Tag für den Tag des Vegetariers zu halten, darum Leute, die das annehmen, den Eindruck haben, die Deutschen würden Rohköstler anhimmeln. (Selbst der „Tag des Lehrers“ wurde in der DDR nur einmal im Jahr gefeiert. Zudem war Hitler ein eingefleischter Vegetarier. Würden wir ihn nicht auch jede Woche, unabsichtlich versteht sich, ehren?) Die Erfindung des Grünen kann große Verwirrung auslösen und bedarf deshalb einer Korrektur. Unverständlicherweise regt sich aber niemand über die Wahl auf.

Stattdessen sehen die meisten ihre Freiheit eingeschränkt – sie wollen selbst entscheiden, wann sie Fleisch essen und wann nicht. Niemand dürfe ihnen Vorschriften machen, was sie tun oder zu lassen hätten. Keine Regeln. Keine Verbote. Keine Gängelei.

So sehr ich deren Antipathien gegen Verbote, Regeln und Gängeleien schätze, bin ich in diesem Fall geneigt, den Grünen zuzustimmen, da ich sie für nicht angebracht halte. Vielmehr scheint es mir so zu sein, dass das Ansinnen der Grünen gegen das weitverbreitete Credo, sich zu jeder Zeit das leisten zu können, nach dem einen dünkt, verstößt, die meisten also durchaus bereit sind, auf etwas zu verzichten, nichtsdestotrotz aber die Chance haben möchten, „Höherwertiges“ wählen zu dürfen, die Kantine neben dem Tofusteak samt Sauerkraut-Möhren-Apfel-Ananas Salatbeilage unbedingt auch Foie Gras und Kalbsschnitzel im Angebot haben sollte. Wiederholt sich diese Kombination, werden jene, die in der glücklichen Lage sind, in einer Firma, die sich eine 3 Sterne Kantine leistet, arbeiten zu dürfen, sich spätestens beim vierten oder fünften Mal für das Tofu-Gericht entscheiden. Die Fähigkeit, uneingeschränkt Sachen anbieten zu können, macht den Kapitalismus überhaupt erst interessant. Auf diese Auswahlmöglichkeiten möchte niemand verzichten. Je mehr man hat, desto höher ist die Stellung. Ganz nebenbei hat der Kapitalismus das Kunststück fertiggebracht, den Leuten, jedenfalls jenen, die Geld haben, das Gefühl zu vermitteln, es bestehe ein Grundrecht auf freie Auswahl, somit jedwede Einschränkung des Konsums durch die Politik als Freiheitsberaubung wahrgenommen wird. So empfinden viele es jedenfalls. Wer alles sagen darf, sollte auch jederzeit alles kaufen dürfen.

Die Grünen als Freiheitsräuber. Noch am Sonntag hätte ich mir das nicht vorstellen können. Wenn wider Erwarten darum richtig geschritten wird, hätten wir den Wahlkampf, den wir verdienen. Das wäre aber doch zu zynisch. Solch ein Thema kann sich kein Land wünschen. Hoffentlich diskutieren sie im Himmel nicht alle vier Jahre darüber. Das wäre schrecklich langweilig.

PS: Den neuen Burger habe ich glatt vergessen. So sieht er aus. (Morgen muss gescrollt werden. Leider.)

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert