Mein Lieblingskaufhaus

Halles Zeitung Nr. 1, die MZ, widmete am Wochenende eine ganze Seite einem Thema, das deren Redakteure, um Investoren nicht zu vergraulen, bisher vernachlässigt haben – es wurden einzigartige Industriebauten, die fast alle aus der Gründerzeit stammen (ein Beweis, dass die französischen Kriegskontributionen auch der Provinz zugute kamen), vorgestellt. Dass die im Artikel aufgeführten historischen Anlagen noch halbwegs intakt sind, verdanken sie in erster Linie dem Umstand, dass sie an einem Ort, der für Ansiedler nicht attraktiv genug ist, stehen, darum auch keineswegs davon ausgegangen werden kann, dass die Zeitung zwar spät, aber nicht zu spät über deren Existenz und Geschichte berichtet hat, denn der Beitrag wird leider niemanden ermutigen, etwas gegen den weiteren Verfall der Gebäude zu tun. Wenn dieser Überblick schon keine Investoren anlockt, so stellt er eine ausgezeichnete Zusammenfassung, die den nachkommenden Generationen ermöglicht, sich ein Bild vom alten Halle zu verschaffen, dar. Traditionsbewusste Hallenser werden den Artikel, natürlich in PDF gespeichert, an ihre Enkeln weiterreichen, Leute, die dort beschäftigt waren, sich an Erlebtes zurückerinnern. Mir kam, als ich den Bericht las, die „Rolltreppe“, das einzige Kaufhaus Halles, das schon vor der Wende eine derartige Beförderungseinrichtung sein Eigen nennen konnte, in den Sinn. Aber weder bin ich wegen der modernen Treppe noch wegen der Waren gerne in hineingegangen – einzig und allein das Kaufhaus hat es mir angetan, wobei, angesichts des Äußeren bleibt mir gar nichts anderes übrig, ich zugebe, dass für einen Fremden es eine gehörige Portion bedurft haben muss, das Kaufhaus zu betreten. Spätestens in der 1.Etage dürfte dieser gezwungen gewesen sein, seinen ursprünglichen Eindruck vollständig zu revidieren – ab dann galt „außen pfui, innen hui“. Wegen der großen Flächen, der dezenten Beleuchtungen und der niedrigen Decken verströmten die Stockwerke über der Parterre eine Gemütlichkeit, die ich nirgendwo sonst mehr vorgefunden habe. Diese waren ein Ort der Ruhe und Besinnlichkeit, also das genaue Gegenteil dessen, was ich heute in Kaufhäusern erlebe. Die Absicht der Architekten war wohl, dem Kunden zu ermöglichen, sich ausschließlich auf den Kauf zu konzentrieren, deshalb alles, was die Interessenten ablenken oder sie an ihren Alltag erinnern könnte, vermieden wurde. Es wurde ihnen suggeriert, dass die Ware bzw. deren Qualität – das Ambiente soll einen ja wählerisch werden lassen – im Mittelpunkt stehen würde. Würde es noch stehen, hätte es gute Chance, als Kaufhaus der Reichen und Schönen Mitteldeutschlands zu gelten, was mich aber nicht davon abgehalten hätte, weiter vorbeizuschauen, denn die eigentliche Attraktion des Warenhaus war sein Treppenhaus. Die Treppe muss mindestens 5 m breit gewesen sein. Wegen ihrer niedrigen Stufen verführte diese mich jedes mal, nach oben zu sprinten. Runter hat es noch mehr Spaß gemacht. Das Treppenhaus würde selbst Jungen, die den ganzen Tag vor dem Computer sitzen, heute noch dazu anregen, dieses zu stürmen – ein idealer Platz, Kinder zu parken. Schade, dass der Prenzlauer Berg kein Kaufhaus dieser Art hat, denn ein solches könnte der Diskussion um die angeblich so verzogenen Blagen, die allen, die eine strenge Erziehung für wichtig halten, wegen ihres schlechten Benehmens auf die Nerven gehen würden, die Schärfe und Verbissenheit, mit der sie geführt wird, nehmen. Und älteren Bürgern hätte dieser Aufgang die einmalige Chance, sich einen unbürokratischen und kostenlosen Konditionscheck zu unterziehen, geboten. Statt hoch und runter heißt es nun, sich auf einem Ergometer im Fitnesscenter zu plagen. Das Haus wurde, wie sich denken lässt, abgerissen. Das neue Gebäude ist kein Kaufhaus im herkömmlichen Sinne, sondern eine Mischung aus Passage und Bürohaus, aber ohne dem Urig-Gemütlichen. Damit nicht der Eindruck entsteht, in Halle seien nur seelenlose Neubauten entstanden – erst jungst zog die Leopoldina in einen originalgetreu renovierten Komplex, der der Anlage in Heiligendamm sehr ähnelt, ein. Während in der „Weißen Stadt am Meer“ jeder, der bereit ist, geschätzte 20 € für Kaffee und Kuchen auszugeben, einen Blick ins das Innere des Hotels werfen kann, bleibt dem Normalbürger der Zutritt zum neuen Hauptgebäude der Akademie verwehrt, was ich sehr bedauerlich finde. Ein öffentliches Kaffeehaus hätte sicherlich noch mehr Leben reingebracht.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert