Europa ist ziemlich verrückt

Goethe hatte es nicht nur gut, weil er reimen konnte, nein, er war auch bei der Kanonade von Valmy dabei, über die er schrieb, „von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen“, was nicht heißt, es würde heute keine Kanonaden, die die Geschichte ändern werden, mehr geben. Die Gefechte, die heute Epoche machen, spielen sich heutzutage nur noch äußerst selten in einem offenen Feld, das von einem Hügel aus gut einsehbar ist, ab. Manche nehmen so viel Raum ein, dass niemand mehr beurteilen kann, welche Partei als Sieger hervorgehen wird. Andere wiederum finden in Sälen statt. Allen gemeinsam ist, dass dank des Fernsehens und Internets niemand mehr auf die Einschätzung des hesselnden Wahlweimarers angewiesen ist. Auf den Pulverdampf müssen wir zwar verzichten, jedoch bleibt uns die Lautstärke, mit der derartige Auseinandersetzungen vonstatten gehen, erhalten, was jeder, der gestern die Debatte, in der es um die Unabhängigkeit Schottlands gegangen ist, verfolgt hat, bestätigen wird. Aber es ging nur nur laut, sondern ausnehmend schrill zur Sache, so schrill, dass die Konkurrenten Darling und Salmond sich nicht zu wundern bräuchten, wenn heute eine britische Zeitung auf die Idee gekommen sein sollte, die Leser darüber abstimmen zu lassen, wessen Ton am schwersten zu ertragen gewesen sei – jener, den die beiden fabrizierten, oder jener, der an einer Schultafel erzeugt wurde. Auf derart innovative Wettbewerbsideen kommt man, wenn man zwei Politikern erlaubt, sich gegenseitig jeweils 8 Minuten lang zu verhören – ein 16 minütiges Wortchaos, das zweimal mit der Behauptung endet, sein Gegenüber habe keine der gestellten Fragen beantworten können. Sieger wird, wer am lautesten schreit, sich ständig wiederholt und versucht, selbst Fragen zu stellen, also kurzerhand die Rolle wechselt. Es war eine Auseinandersetzung, wie sie im wirklichen Leben nie vorkommt, selbst in der schlimmsten Ehe nicht. Ich fürchte, wir werden noch mehr Wettkämpfe dieser Art sehen.

Hat Europa wieder einen dichtenden Feldherren? Womöglich spielt er sogar noch ein Instrument (da heutzutage kaum noch jemand nebenbei komponiert, frage ich erst gar nicht, ob er schon Musikstücke, bspw. ein Flötenkonzert, geschrieben hat)? Der Alte Fritz unserer Tage ist noch recht jung, nichtsdestoweniger wird er bereits genauso gehasst wie Friedrich. Ausgerechnet in Poet führt die „Terroristen“, die nach der Auffassung vieler ständig unter Strom stehen sollen, im Donbass. Ausgerechnet Strelkow, den die Welt in einem Titel als „Schreckensherrscher“ (siehe Wiki) bezeichnet hat, was dieser angesichts der Schmähungen, die aus Kiew kommen, wer locker wegsteckte, wenn er davon wüsste, schreibt Gedichte. Und ich musste nach ihnen nicht einmal lange suchen – die Webseite der Separatisten hat eines von ihm veröffentlicht. Leider gibt es keine deutsche Übersetzung. Ob Günter Kunert oder Durs Grünbein sich der Sache annehmen, wage ich zu bezweifeln. (Da der Text auf der Webseite schlecht zu lesen ist, steht er hier.)

Don’t wait for orders! Don’t delay
With reference to rest!
Forge forth! Through wind and piercing rain
And blizzard’s howling wail!
Abandon comfort’s cozy quilt —
You’re young, the way is yours!
You’ll have the time to rest your soul
When they lament your death!
Be brave, be fair, don’t heed the tongues
That ridicule and sneer.
And as a leader, take the brunt
Of duty on yourself!
If you have never been at fault,
Your life’s a wasted bloom —
You’ve shied away from picking up
The burdens of this world!
Whatever brings your lot to you —
Success or failure’s wrath,
Remember this – your measure’s worth
Will only judge our Lord!
Igor Ivanovich Strelkov, 1991

Ein Weißer Majakowski, nur lyrischer und nicht so wild wie der früh verstorbene Revolutionär? Um das zu beurteilen, müsste ich noch das eine oder andere Gedicht von ihm lesen. Da er aber zur Zeit in erster Linie als Feldherr in Erscheinung tritt, wäre es interessant, zu wissen, ob er schon sein „Mirakel“ gehabt hat. Angesichts der schwierigen Lage, in der sich die Aufständischen noch vor nicht allzu langer Zeit befanden, grenzt es wirklich an ein Wunder, dass die Separatisten, im Glauben, ihre Siegesmeldungen stimmen, wieder recht gut dastehen. Die altbewährte Taktik der Russen, sich zurückziehen, was den Gegner verleiten soll, wild noch vorn zu stürmen, hat sich ausgezahlt – in diesem Krieg gibt es mehr Kessel als im gesamten 2. Weltkrieg. In alle, von Slawjansk mal abgesehen (Strelkow hat sie da herausgeholt), sind die Ukrainer geraten. Strelkow, der so wirkt, als sei er eine Erfindung Jules Vernes (wie Michael Strogoff) hat mit dafür gesorgt, dass sie hineintappen. Am schlechten Image der Russen wird sich vorerst nichts ändern. Das ist im Augenblick so miserabel, dass sich ein Geschichtswissenschaftler erlauben kann, alles Schlechte, das bisher Donezk widerfahren ist, Stalin und den Terroristen anzulasten. Die Folgen der Taktik der verbrannten Erde der Deutschen, die die Deutschen, wenn ich richtig informiert bin, zum ersten Mal im Donbass praktizierten, werden überhaupt nicht erwähnt.

PS: Kate Bush hat sogar einen eigenen Blog. Dazu noch ein recht rundes Gesicht. Und ich hatte immer geglaubt, sie könne überhaupt nicht dick werden.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert