Ein preußisch-protestantischer Don mecklenburgischer Provenienz

Gratulation dem Spiegel, der auf seiner jüngsten Ausgabe Gauck so sorgenvoll und ernst dreinblicken lässt, dass alle Welt einfach nur der Meinung sein kann, das Magazin müsse mit seinem Titel, der suggeriert, die Deutschen bräuchten jemanden, der ihnen die Leviten lese, recht haben, zumal derjenige, der sie belehren soll, bei den Aufnahmen gewusst haben muss, warum er ein so staatstragendes Gesicht machen soll. Nichtsdestoweniger wäre ich froh, befänden sich unter den Ausländern, die in dieser Woche den Weg in einen hiesigen Zeitungsladen finden, nur welche, die des Deutschen nicht mächtig sind, denn bei den kundigen könnten, wenn sie die Zeitschrift sehen, Zweifel am deutschen Demokratieverständnis aufkommen – soll es hier wirklich Menschen geben, die sich nach einem Strafprediger sehnen? Es sieht ganz danach aus. Hatte Jauch, als Gaucks Kandidatur bekannt wurde, noch einige Gäste, die kritisch zu ihm stehen, eingeladen, war Frau Lötzsch gestern die einzige Gegnerin des Pfarrers, was den Moderator veranlasste, sie mit Fragen zuzuschütten, die den Eindruck erweckten, dass jeder, der gegen ihn etwas habe, auch nicht die Arbeit Mutter Theresas zu würdigen wüsste. Und als Chefredakteur des Spiegels, Mascolo, allen klar machte, dass er sich auf Gaucks Leviten freue (ab 30. Minute), widersprach ihm niemand; selbst Frau Lötzsch, deren Partei für Frau Klarsfeld war, brachte nicht zum Ausdruck, dass es in einer Demokratie niemanden bedürfe, der andere oberlehrerhaft maßregele. Dass ausgerechnet jemand, der, wie der Name verrät, einen italienischen Vater haben muss, eine Ansicht, die deutscher und konservativer nicht sein könnte – es ist fast so, als stamme diese aus der Kaiserzeit – vertritt, wundert mich, hat doch das Land, in dem sein Vater geboren wurde, einen beliebten Leviten-Leser, dem zudem selbst welche gelesen werden, hervorgebracht. Ich meine natürlich Don Camillo. Nach dieser Logik wäre Gauck ein preußisch-protestantischer Don mecklenburgischer Provenienz, wobei ich es noch für wichtig erachte, näher auf dessen Herkunft einzugehen – Mecklenburger sind nämlich dafür bekannt, sich sehr wichtig zu nehmen. Zudem gelten sich auch noch als recht starrköpfig. Letzteres trifft auch auf den richtigen Don zu, jedoch schafft er es immer wieder, sich mit seinem Gegner Peppone zu versöhnen. In der kurzen Zeit, in der sie Freunde sind, lösen sie meist Probleme, die von größter Dringlichkeit für die Einwohner Brescellos sind. Und natürlich versteht es der echte Don, den Leuten die Meinung zu geigen (siehe hier). Das tolle an den Filmen ist, dass es Jesus ist, der ihn immer wieder ermahnt, wenn er etwas Unrechtes tut, was allzu häufig, ja eigentlich unentwegt vorkommt. Aber wer spricht zu Gauck? Wenn Gott ihn ermahnen sollte, werden wir leider nicht hören, was er an ihm auszusetzen hat. Der einzelne hat es schwer, sich gegen Gaucks Schelten zu wehren, ganz und gar unmöglich ist es ihm, sich persönlich an ihm zu rächen, was einigen, die sich von Don Camillo ungerecht behandelt fühlen, jedoch gelingt. Gauck ist aber schon 73. Mit Personen jenseits der 70 fängt man keinen Streit an, geschweige denn versucht man, sie zu verprügeln. Anders als sein italienisches Pendant, dem jedes Kräftemessen hochwillkommen ist, wird er auch jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gehen. Und da er zum Bundespräsidenten gewählt wurde, um dem Amt wieder Würde zu verleihen (als ob Wulff diese verspielt hätte), wird es erst recht schwer, ihm zu widersprechen. Gegen einen Quasi-Papst lässt sich eben nicht viel ausrichten. Da wir in einer Demokratie leben, kann ich dem Spiegel nicht verbieten, einen Leviten-Präsidenten zu fordern. Ich denke, dass wir keinen brauchen. Vermutlich denkt Gauck genauso.

PS: Vermutlich hätte Walser sich bis letzten Freitag nicht vorstellen können, dass eine Lesung von ihm Proteste auslösen würde. An der Uni in Halle gab es Flugblattaktion nach dem Vorbild der Geschwister Scholl. Nicht jeder liest eben mit, manche lesen auch dagegen. Ich war auch nicht bei Walser. Es wundert mich, dass der Saal ausverkauft war. Meine Begeisterung über seine Eindrücke von der Leipziger Buchmesse 1981 (bisher unveröffentlicht) hält sich in Grenzen.

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