Halle feiert Francke

Hat August Hermann Francke, dessen 350. Geburtstag Halle am Wochenende feierte (Gauck war auch da), sich an Ludwigs Versailles – der opulente Komplex des Sonnenkönigs müsste ihn, der als Pietist zur Elite des Protestantismus (sozusagen dessen Stoßtrupp) gehörte, abgestoßen haben – orientiert, als er die nach ihm benannten Stiftungen gründete? Höher als das berühmte Schloss sind dessen Bauten auf alle Fälle, und würde man eines der zwei Gebäude, die parallel zu einander liegen, an eines der Enden setzen, wäre der Komplex auch viel länger. Kaum war der Hofstaat des Bourbonen eingezogen, legte Francke auch schon los, eine Schulstadt, die imposanter nicht sein konnte, zu errichten. Zum Glück wählte er einen Platz, der nicht ganz so unwirklich wie jener in Versailles war, wo, um bauen zu können, erst einmal die Sümpfe trockengelegt werden mussten. Die Anwohner dürften über den Riesenbau nicht sonderlich begeistert gewesen sein. Aber selbst die Möglichkeit, beim Bauamt Einspruch zu erheben, hätte ihnen nicht weitergeholfen – Francke wurde protegiert. Was er plante, war ganz im Sinne Preußens. In einem dörfischen Vorort etwas zu errichten, das alles in seiner Umgebung in den Schatten stellen würde, hatte wohl auch pädagogische Gründe – wie ehrfurchtsvoll und demütig muss ein Kind die Eingangstreppe, die auch einem Schloss gut zu Gesicht stände, hinaufgestiegen sein, wenn schon ein Erwachsener schon schwer beeindruckt war? Und was erst, wenn man (wie es heute üblich ist) ihm gesagt hat, alles sei nur für ihn errichtet worden? Vermutlich waren sie damals noch nicht so clever wie heute. Nach dieser Logik müssten heutige Internats-Neubauten (das Waisenhaus stand als erstes) alles überragen, was bedeuten würde, dass bspw. ins neue World Trade Center keine Büroleute arbeiten, sondern Kinder und Jugendliche leben und wohnen. Nichtsdestoweniger kann ich niemanden verübeln, wenn die Stiftungen ihn nicht in seinen Bann ziehen sollten.

Ich habe bis heute Mühe, den Bauten etwas Gutes abzugewinnen. Man kann von außen richtig spüren, dass es im Inneren recht streng zuging. Kein Fenster tanzt außer der Reihe. Die Holzbalken – eines der drei Fachwerkhäuser ist sogar das größte Europas – bilden eine überdimensionales Excel-Gitternetz. Zu allem Überfluss hat man allen Häusern noch ein strahlendes Weiß verordnet. Zu DDR-Zeiten – 4 Jahr lang bin, außer sonntags und in den Ferien, am Weltkulturerbe-Aspiranten vorbeigegangen – war wegen des morbiden Charmes, den die Anlage ausstrahlte – es schien, als sei die Zeit stehengeblieben – alles wesentlich gemütlicher und behaglicher. (Es schien, als habe man nie etwas an der Fassade gemacht.) Vermutlich würde man heute das gleiche Foto schießen können, wären Gebäudeschäden sofort repariert worden. Dazu fehlte das Geld, vor allem aber das Material. Nach der Sanierung sieht es so aus, als ob man zu viel des Guten getan hätte.

PS: Gauck hat nicht enttäuscht – er hat Satz vorgetragen, den selbst die Enigma-Codejäger nicht geknackt hätten. Da das Entschlüsseln eine ziemlich nervenaufreibende Sache sein kann (siehe gleichnamigen Film), habe ich darauf verzichtet, ihn aufzuführen.

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