Zu schön, um wahr zu sein

So schnell kann es gehen – vor zwei Wochen in der „Anstalt“ und von diversen Medien noch dafür gerügt, auf Wahlplakaten mit dem Slogan, nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählten, könne ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden, geworben zu haben, hat Augstein ihn wegen seiner forschen Art mit Mirabeau mit Verbindung gebracht, wofür ich ihm wegen der Angabe der Quelle des Zitats sehr dankbar bin, denn Kleists Beweisführung seiner Behauptung, die besagt, dass man am Beginn einer Rede manchmal nicht weiß, was man sagen wird, ist weitaus spannender als M. Antwort auf die Frage, ob die Nationalversammlung den Befehl des Königs vernommen hätte. Selbstkritisch wie ich nun bin, fürchte ich, dass aus mir wegen meines Faibles fürs Ironische nie ein Revolutionär wird. Ich bin nicht einmal in der Lage, zu erkennen, wenn eine abläuft. Wie könnte ich sonst übersehen, dass sich seit der Europawahl der alte Kontinent im Umbruch befindet. Da ich nicht der einzige bin, dem das entgangen sein dürfte, muss es revolutionäre Phasen geben, die nur Spezialisten ausmachen können – Leute, die Veränderungen wahrnehmen können, die niemanden sonst auffallen. Während echte Seismographen Erdstöße, die der Mensch nicht spürt, registrieren, schlagen die menschlichen bei der kleinsten Abweichung vom politischen Alltag aus. Meistens machen sie keine Zacke auf kariertem Papier, sondern sie teilen uns ihre Erkenntnisse schriftlich oder mündlich mit.

Wie eben Augstein. Wenn heute bereits zu lesen ist, ein Berater des EU-Ratspräsideten van Rompuy erwarte, Junckers, der unbedingt Kommissionschef werden will, würde bald das Handtuch werfen, kann es mit dem Umschwung nicht weit her sein. Lagardes Äußerung, nicht Chefin werden zu wollen, macht auch nicht so recht froh – wie kommt sie darauf, dass die Öffentlichkeit denken könnte, sie käme in Frage, wenn die führenden Politiker, von Cameron mal abgesehen, den Eindruck vermitteln, jemand aus dem Parlament werde dafür auserkoren? Fast habe ich den Eindruck, dass Brüssel und die Regierungen beabsichtigen, dass Europaparlament schon in fünf Jahren, wenn die Rechten unter sich sein werden, aufzulösen. Bei einer Wahlbeteiligung knapp über 20 Prozent wäre das auch angebracht.

Und glaubt Augstein wirklich, mit der Entscheidung der EZB, eine Depotgebühr für Einlagen zu verlangen, sei der klassischer Kapitalismus beerdigt? Ich glaube, dass dieser seinen zweiten Frühling erleben wird, da dank der Restriktionen, die sich der Staat in puncto Schulden selbst auferlegt hat, nur noch in Immobilien, Aktion oder Firmenanleihen investiert werden kann. Die Politiker haben für die Wirtschaft eine Art Perpetuum mobile geschaffen – mangels Alternativen fließt immer Geld dort hinein. Londoner Verhältnisse sind dann angesagt. Wer das Glück hat, in einer begehrten Gegend ein Haus zu besitzen, kann von der Couch aus verfolgen, wie er Millionär wird. Beim Verkauf muss man natürlich bereit sein, in eine Gegend, deren Hauspreise nur halb so hoch sind, zu ziehen. Blasen gibt es nicht mehr. Nur sinkende Einwohnerzahlen können dieses System kollabieren lassen. Demnach müsste die Blase in Deutschland eher als in England platzen. Immerhin hätte sie dann 20 oder mehr Jahre gehalten.

PS: Fast hätte ich vergessen, auf eine Hörprobe hinzuweisen. Chrissie Hynde. Sie klingt so wie immer. Zweimal muss ich mindestens noch reinhören, um mir eine Meinung zu bilden.

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