Twittern sollte im Politiktalk erlaubt sein

Nun auch in der Politik, es sei denn, unsere Politiker springen über ihren eigenen Schatten und praktizieren eine Art des Regierens, die in Italien eine lange Tradition hat, sich jedoch erst bei den nächsten Wahlen herausstellen wird, ob sie es noch können – es geht um die Kunst, innerhalb einer Legislaturperiode mehrere Regierungen zu bilden. Das Land kommt auf 65 Nachkriegsregierungen, was vermuten lassen könnte, im Land des Catenaccios muss das Prinzip „vor der Wahl ist nach der Wahl“ gegolten haben. Weit gefehlt – sie haben nicht öfter als die Deutschen gewählt. Es muss aber erwähnt werden, dass meist nur eine Partei, die Democrazia Cristiana, die Regierung stellte. In Schleswig-Holstein, wo die beiden großen Parteien nur bequem regieren könnten, wenn sie zusammenarbeiteten, was beide partout nicht wollen, wird der Wähler angesichts der hauchdünnen Mehrheit (eine Stimme), die die einzig machbar erscheinende Koalition hätte, bald wieder an die Urne gerufen werden. NRW ist da schon angelangt. Kommenden Sonntag hat der Wähler dort die Gelegenheit, sich zu korrigieren. Und lt. diverser Meinungsumfragen, die Rot-Grün eine stabile Mehrheit voraussagen, wird er diese auch nutzen. Interessanter wäre natürlich, wenn alles so bliebe, denn dann könnten die Parteien gezwungen sein, sich zusammenzuraufen, und das 4 Jahre lang. Wer der Meinung ist, es sei völlig illusorisch, daran zu glauben, dürfte sich nach Jauchs gestriger Sendung bestätigt fühlen, wobei ich glaube, der eine oder andere hätte sich anders verhalten, wäre er einigermaßen mit der Welt, in der Ponader, der die Piraten vertrat, lebt, vertraut gewesen. Dessen Getwittere erregte nämlich, völlig zu unrecht, den Unmut der Teilnehmer. Dabei hatte er nur die Absicht, alle jene, die nicht zuschauen, auf dem Laufenden zu halten. Das halte ich für völlig legitim, zumal ihm einer seiner „Follower“ noch nützliche Informationen (die Piraten hätten in NRW das dickste Programm; 76 Seiten) zukommen ließ. Die Situation hat mich an Kohls legendäre Antwort bezüglich der Frage, was er in Sachen „Datenautobahn“ (1994 ein böhmisches Dorf für ihn) unternehmen wolle, erinnert. Ich kann wirklich nicht sagen, ob ich seine Meinung damals auch schon recht lustig fand (ein Grund, Tagebuch zu führen). Auch sein Eingeständnis, dass Eppler, der die Piraten mit Medizinstudenten des 2. Semesters verglich, recht habe, stimmte die Gäste nicht versöhnlicher. Dabei hätten sie merken müssen, dass nach seiner klugen Antwort es überhaupt keinen Sinn macht, zu versuchen, ihn weiter bloßzustellen. Das lässt nichts Gutes ahnen. Von italienischen Verhältnissen sind wir noch weit entfernt, nichtsdestoweniger kann ich mir, trotz aller kultureller Unterschiede, die Piraten in Koalitionen mit Parteien, die links der Mitte stehen, vorstellen. Wer hätte bei der Ausgabe des Euros gedacht, dass nach mehr als 10 Jahre den Staaten, die diese Währung wählten, unter Umständen ein Kampf der Kulturen bevorstehen könnte? Wohl niemand. Das „verschwenderische Versailles“ und das „geizige Sanssouci“ kämpfen um die Vorherrschaft in Europa. Wer hat die besseren Karten? Frau Merkel ist zwar stärker, jedoch hat das Wahlergebnis in Griechenland gezeigt, dass sie keine gute Spielerin ist, denn ihr Kalkül, auf Zeit zu spielen, hat sich als völlig falsch herausgestellt. Papandreous Plan, das Volk abstimmen zu lassen, wäre die weitaus bessere Abstimmungsvariante über die Sparmaßnahmen, deren Sinn die meisten bezweifeln, gewesen (Frau Merkel war entschieden dagegen). Bei einer Ablehnung wäre den Griechen eine Regierungskrise, in der sie sich jetzt zweifellos befinden, erspart geblieben. Es ist gar zu lesen, das Land sei unregierbar. Sollte dies stimmen, wären die Folgen der Sparens gleichbedeutend mit jenen einer Politik der verbrannten Erde – zwar ist noch alles vorhanden, doch funktioniert nichts mehr. Das schafft nicht einmal eine Neutronenbombe.

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