„Snowpiercer“ – der Orient-Express ist dagegen bieder

So locker und leicht wie Heinz Rühmann, der, wie ein Film zeigt, vor 55 Jahren durch die Wände laufen konnte, tut sich zwar der „Snowpiercer“ auch, wenn sich ihm Hindernisse wie ein mehrere Meter breiter Felsvorsprünge entgegenstellen, jedoch wird es im Superzug, der wegen seines Antriebs (Perpetuum mobile) und der eisigen Witterung seit 17 Jahren nicht mehr gehalten hat, für die Passagiere der letzten Klasse sehr unangenehm – trotz Vorwarnung finden sich die meisten auf dem Boden wieder, was ihnen in diesem Fall wenigstens ermöglicht, Atem zu schöpfen, denn sie sind gerade im Begriff, sich an die Spitze des Zuges zu kämpfen. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Willkommen im „Snowpiercer“, dem Zug der Gegensätze, eine Art Indien auf Rändern, in dem, das unterscheidet ihn vom Subkontinent, sich Arme und Reiche theoretisch nie zu Gesicht bekommen. Einige Waggons, die zwischen ihnen liegen, machen das unmöglich. Angesichts des surrealen und dichten Geschehens kam es mir überhaupt nicht in den Sinn, mich zu fragen, warum Wilford, der einer Gruppe von Pionieren angehört, die in Amerika schon längst als ausgestorben gelten, in seinen genialen Linienzug, der die Erde auf der Nordhälfte umrundet (wie gut, dass die Erde keine Scheibe ist), vielen Menschen gerade mal so viel gibt, dass sich sich am Leben halten können. In der selbstverschuldete Eiszeit (die Wirkung des Kühlmittels CW 7, das die globale Erwärmung stoppen sollte, war zu stark) herrscht im überlangen Zug finsterster Kapitalismus.

Nun haben die Menschen genug. Sie versuchen, sich nach vorne zu arbeiten. Brutale Kampfszenen überwiegen. Keine Panik. Haben Sie die einigermaßen heil überstanden, werden Sie eine Grundschullehrerin in Ihren Bann ziehen – Alison Pil, die es schafft, noch vorwitziger und arroganter als ihre verwöhnten Sprösslinge zu sein. Eine Persiflage, wie sie besser nicht sein kann. Einfach genial. Absolutes Ms Plimsoll („Zeugin der Anklage“) Niveau. Die ist nur noch verrückter. Und völlig durchgedreht. Eben amerikanisch. Ich würde ihr sofort den Oscar für die besten Nebenrolle geben. Die Frau spielt diesen Part einfach genial. Leider war ich zu sehr auf sie fokussiert – ich habe doch glatt verpasst, mir zu merken, wie schnell der Zug fährt (das Video über den ominösen Herrn Wilford ist zu kindisch, um die Daten im Kopf zu behalten). Tilda Swinton wird es überstehen. Sie hat das beste aus der Rolle gemacht. Zu Beginn fand ich sie nicht sehr überzeugend. Das hat wohl am Text gelegen. Der Drehbuchschreiber hätte an dieser Stelle diesen kürzer und prägnanter fassen können. Überhaupt wird, zu meiner Überraschung, wird recht viel gesprochen. Manche könnten werden sich daran stören.

Bong Joon-ho hat einen hervorragenden Film gemacht. Nur bei einer Szene habe ich gestutzt – was macht ein Eisbär im Hochgebirge? Bis jetzt habe ich dafür keine rechte Erklärung. Vermutlich hat sich das Tier den Umweltbedingungen angepasst. Warum haben nur wenige Kinos „Snowpiercer“ im Programm? Einige Szenen sind ziemlich übel. Ich habe, dank „Noah“, alle ertragen können. Der Film hat mehr Zuschauer verdient. Vor allem auch mehr Kritiken. Die Medien haben den Science Fiction großzügig ignoriert, so getan, als würde er nicht existieren. Ein Fehler!

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