September Blues

Wer wird nun noch wagen, eine deutsche Talkmoderatorin zurechtzustutzen, so in der Art, wie Frau Illner es erlebte, als ihr jemand sagte, sie möge aufhören, ihm mit ihrem berühmt-berüchtigten Zeigefinger zu drohen, da ihn das ganz nervös mache? Und das war nicht einmal beleidigend, da jener, der sich daran störte, sich darüber glaubwürdig echauffierte. Viele Zuschauern sprach er aus der Seele – sie waren es leid, ständig diesen ominöse Finger zu sehen. Womöglich hätte längst ein anderer ihren Sendeplatz am Donnerstagabend eingenommen, wäre sie nicht der barschen Aufforderung nachgekommen. Seitdem ist der Finger nämlich unten. (Und das ist er, wie ich gestern feststellt habe, heute noch.)

Leider konnte ich im Internet nicht herausfinden, wann die Sendung lief und um was es ging. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich., dass ich auch kein Video gefunden haben (ihr Mann, der noch der Telekom vorsteht, hat vermutlich alle Beweisstücke vernichten lassen). Aber sicherlich wissen Sie bereit, wer Frau Illner zurechtwies – natürlich war es Reich-Ranicki. Die Nachrufe haben den Eindruck erweckt, er sei völlig unverhofft mitten in seiner Schaffensphase aus dem Leben geschieden, was wohl daran liegt, dass unter Literaturwissenschaftlern, von denen die meisten Würdigungen stammen, er noch allgegenwärtig sein muss. (Die Danksagung im Guardian finde ich noch am besten. Das ist aber nicht verwunderlich, da die Engländer die Nachruf-Spezialisten sind. Ich weiß nicht, woher sie das haben. Sollte also ein Prominenter sterben, ich denke in erster Linie an Schauspieler, da über sie meist Ronald Bergan schreibt, müssen Sie unbedingt das „Orbituary“ lesen.) Da mir, trotz einiger Artikel, die ich von ihm gelesen habe, nur noch der Fernsehmann Reich-Ranicki in Erinnerung ist – zu allem Überfluss ist auch noch sein Auftritt mit Gottschalk haften geblieben –, fände ich es gut, wenn sich die eine oder andere Zeitung noch entschließen sollte, einige seiner Kritiken und Essays ins Netz zu stellen.

Übermorgen um diese Zeit wissen wir, mit wem „die mächtigste Frau Europas“ zusammenzuarbeiten wird. Dass sie nicht in der Lage ist, alleine zu regieren, muss sie, die im Ausland höheres Ansehen als im eigenen Land genießt, maßlos ärgern. (In einige Staaten ist es genau umgekehrt. Da wird sie nämlich gehasst, während sie hier immer nur die „Mutti“ ist. Die zu verabscheuen, ist natürlich verpönt. „Muttihasser“ werden hierzulande geächtet. Wäre Merkel eine italienische „Mutti“, wäre es noch schlimmer. In Italien würde sie als „Mamma“ wie eine absolute Königin herrschen. Dann lieber doch Berlusconi.) Zu allem Überfluss könnte sie sogar gezwungen sein, sich den Koalitionspartner nicht aussuchen zu können – sie muss, ob sie will oder nicht, es mit der SPD versuchen. Zwangsheirat nennt man so etwas. Wegen mir auch Vernunftehe. Wenigstens sind beide nicht für das ganze Leben. Darum ist eines schon einmal sicher – Merkel hat ihren Zenit überschritten, und selbst für den Fall, dass die Hochrechnungen Punkt 18:00 Uhr besagen, sie habe die absolute Mehrheit errungen, wäre nicht sicher, ob sie so wie bisher weiterregieren könnte. In einer großen Koalition wird Gabriel, anders als Müntefering, versuchen, ihre Autorität – die Taktik der kleinen Nadelstiche – zu untergraben. Gerade so, dass die Stiche noch zu ertragen sind. Die SPD kann sich nicht wieder super loyal geben. Das wäre ihr Untergang. Für Merkel wird es jetzt richtig schwer.

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