Mehr PR als Wahlkampf

Nicht, dass ich nicht weiß, wen ich am 22. September wähle, aber da seit ungefähr einer Woche von jeder dritten Straßenlaterne Halles Kandidaten – nicht selten haben mich gleich zwei im Blick – charmant und wohlwollend auf mich herunterblicken (deren Freundlichkeit ist wirklich entwaffnend), habe ich nicht anders gekonnt, als im Internet zu erkunden, wo und wann die Bundestags-Aspiranten um die Gunst der Wähler werben werden. Wie naiv ich doch bin, denn sie blicken nicht nur so freundlich und einladend drein, um gewählt zu werden, nein, sie haben ihr Konterfei auch aufhängen lassen, weil sie gar nicht angesprochen werden wollen. Und da die Parteien fürchten, Wahlberechtigte könnten das mitbekommen – bspw. indem sie eine Woche vor der Wahl auf die Idee kommen, aus den Webseiten der Ortsvereine zu erfahren, wen diese ins Rennen schicken –, haben sie die Hauptstraßen mit Plakaten zupflastern lassen. Angriff ist schon immer die beste Verteidigung gewesen. Klickten sie auf besagte Seiten, würden sie zwar Informationen über die Antretenden finden, nach Veranstaltungen, in denen sich die Kandidaten mitsamt ihren Programmen vorstellen, suchten sie jedoch vergeblich. Auch wenn ich bis jetzt nicht die Absicht habe, eine Wahlkampfrunde zu besuchen, finde ich es sehr enttäuschend, dass in Halle kein klassischer Wahlkampf (Mann gegen Mann) stattfindet. Der wird wohl nur noch im Fernsehen ausgetragen.

Wenigstens hätten die Bewerber so tun können, als glaubten sie, es würde Menschen geben, die sich für sie und ihre Programme interessieren. Leider konnte sich keiner der Kandidaten zu diesem mutigen Schritt entschließen. Was ist, wenn niemand kommt? Die Zeitungen würden darüber berichten. Der politische Gegner bräuchte nicht einmal Spione zu schicken, um davon zu erfahren. Ein Horrorszenario. Einen „echten“ Wahlkampf führen nur noch die Spitzenkandidaten. Die locken noch die Menschen an. (Zu einem Streitgespräch der hiesigen Kandidaten kämen sicherlich auch viele.) Für die muss man nicht einmal werben. Eine kurze Information am Freitag, in der zu lesen ist, dass Steinbrück morgen (Sonnabend) in die Händelhalle kommen würde, in Halles wichtigster Zeitung reichen aus, um den Saal zu füllen (trotz Anmeldepflicht). Das nenne ich Strahlkraft. Nur die Stones bekommen das noch hin. Brüderle hat gar nicht erst bekannt geben lassen, dass er nach Halle kommen würde.

Wenigstens weiß ich nun, dass sich Wahlkampf- und Kaufhausreklame unterscheiden. Wenn eine Kaufhauskette ihre Weihnachtsreklame startet, erwarten alle, dass deren Läden weihnachtlich dekoriert sind. (Übrigens gibt es noch vor der Wahl Stollen und Pfefferkuchen zu kaufen. Wer einen künstlichen Tannenbaum hat, kann sogar schon am Wahlsonntag Bescherung feiern. Mit einem bisschen Glück erlebt er die obligatorische Erklärungsstunde, in der die Spitzenkandidaten darlegen, warum es so und nicht anders gelaufen ist, im Glühweinrausch. Den bekommt man auch ohne Baum hin.) Meistens ist das auch der Fall. (Ich werde im Dezember darauf achten.) Die PR der Parteien läuft anders. Wenn an den Ausfallstraßen die Parteien darum kämpfen, welche das beste Werbeplakat aufzuweisen hat, heißt das noch lange nicht, dass deren Kandidaten sich vier oder fünf Wochen im Dauerchlinch befinden.

PS: Führt das Guinness-Buch den Rekord für das Durchbrechen von Plakaten? In früheren Actionfilmen war das gang und gäbe. Heute scheint es aus der Mode gekommen zu sein, in einer Kurve von der Straße abzukommen und dann in ein übergroßes Plakate zu rasen (die Gorillaz zeigen das noch). Jetzt besteht die einmalige Gelegenheit, in einem Anlauf gleich durch drei oder vier zu preschen. Wenn das nicht rekordverdächtig ist? (Leider auf eigene Gefahr. Kolibri ist nicht imstande, für die Folgen aufzukommen. Rechtsberatung vorher einholen. Könnte unter Umständen als terroristischer Akt gewertet werden.)

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