Leere Säle, Rebroff, Jena, Sokrates

Beim ersten Mal habe ich, des Energieverbrauchs wegen, noch Gewissensbisse gehabt, als mir das dann wieder passierte, fand ich es richtig lustig, auch weil ich mir sagte, wenn Hitler und Stalin sich das gönnten, ich mir erst recht keine Gedanken zu machen bräuchte – die Exklusivvorführung eines Films nur für mich alleine. Das kam öfters vor (wenn Originalfilme, deren synchronisierte Fassung auch nicht viele sehen wollten, auf dem Programm standen), und einmal hatte ich gar das Gefühl, der Vorführer hat alle Werbefilme und Trailer, die ihm zur Verfügung standen, gezeigt, um mich aus dem Saal zu verjagen. Vermutlich lag es aber an meinem Zuspätkommen, was ihn, als er von der Kasse die Information bekam, es würde doch noch jemand kommen, veranlasst haben könnte, noch einmal von vorne zu beginnen. Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen, bei einem Konzert der einzige Zuschauer zu sein. Ehrlicherweise muss ich aber hinzufügen, dass ich, sollte die Veranstaltung wirklich durchgeführt werden, nicht jedes Konzert verfolgen würde. Wäre ich an Stelle der Person, die Ivan Rebroffs Konzert beiwohnte, gewesen, hätte es ausfallen müssen – zum einen wäre es mir peinlich gewesen, wenn er nur für mich gesungen hätte, zum anderen weil er zu den Künstlern, deren Auftritte ich nur der Anonymität der Masse genießen könnte, gehörte. Daher bewundere ich auch den Mut desjenigen, der/die verharrte, um jemanden, dem es aufgrund seiner Statur, Stimme, seines Habitus‘ und Outfits leicht gefallen wäre, in Filmen Persönlichkeiten wie Iwan der Schreckliche oder Rasputin darzustellen, zuzuhören. Ich bin heute noch traurig, dass Rebroff ein Deutscher war, denn wären er oder seine Eltern am Don geboren, hätte ich meiner These, dass in der Diaspora alte Traditionen – dessen legendäres Kosakenkostüm muss den Neid jener Kosaken, die Wert auf Prunk legen, hervorgerufen haben – höher als in der Heimat gehalten werden, ein weiteres Beweisstück hinzufügen können. Ernsthafte Gedanken darüber, dass niemand kommen könnte, haben jene, die das „Rock gegen Rechts“ Konzert organisierten, das am Freitag in Jena stattfand, in den Tagen zuvor sich nicht zu machen brauchen – die illustren Musiker, die gewonnen werden konnten, hätten jedes Stadion gefüllt. Und da viele zu glauben meinten, Jenas Ruf sei durch die schockierenden Morde zweier Männer, die dort zu Neonazis wurden, arg ramponiert worden, konnten die Organisatoren ruhigen Gewissens darauf vertrauen, dass die Veranstaltung eine eindrucksvolle Manifestation gegen den Rechtsradikalismus werden würde. Die vielen Zuschauern gaben ihnen recht. Dennoch bleiben bei mir Zweifel – wegen dreier Leute, die zwar Neonazis waren, im „Untergrund“, so mein Eindruck, aber eher wie „Bonnie und Clyde“ lebten, so viel Aufhebens zu machen, halte ich für unangemessen. Wenigstens besteht nicht die Gefahr, dass der Mainstream deren Taten romantisieren könnte. In Erinnerung schwelgte Richard Williams, als er Sokrates, der gestern starb, in seinem Nachruf mit einem Maler, der an seiner Staffelei dank seiner Vorstellungskraft Schönes entstehen lässt, verglich. Eine grandiose Metapher, die mich angesichts der Erfolgslosigkeit der englischen Nationalmannschaft veranlasst, ernsthaft darüber nachzudenken, ob am Spruch, der sagt, dass die dümmsten Bauern die größten Kartoffeln ernten würden, etwas dran sein könnte.

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