Die Krux mit der Wortwahl

Übermannen Sie auch von Zeit zu Zeit Tagträume? Heute hatte ich einen, der verrückter nicht sein kann, ich ihn dennoch nicht vermissen möchte, da dieser weitaus angenehmer als die Wirklichkeit ist. Ich würde ihn sogar als kitschig bezeichnen. Lange Rede, kurzer Sinn – als ich im Radio hörte, die Parteizentrale der SPD in Berlin habe ein Bombendrohung erhalten, malte ich mir sofort aus, nur ein hochbetagter Gymnasiallehrer, dem aufgrund Gabriels Wortwahl – er hat jene, die sich vor der Asylunterkunft in Heidenau mit der Polizei eine Straßenschlacht geliefert haben, als „Pack“ bezeichnet – klar geworden ist, dass es überhaupt keinen Sinn machen würde, der Parteiführung eine höfliche Beschwerdemail zu senden, habe aus Wut darüber, wie tief das Niveau unserer Politiker gesunken ist, diese Drohung aussprechen können. Natürlich ist diese Vorstellung albern – die Spezies der super gebildeten Lehrer, die schon zu meiner Schulzeit im Begriff war, auszusterben, wird nicht sonderlich traurig darüber sein, nie die Chance gehabt zu haben, ihn als Kollegen (er hat Pädagogik (u. a. Deutsch) studiert) kennenlernen zu dürfen. Als Schüler hätte ich auch keinen Bock, von ihm unterrichtet zu werden. Wieso bedient sich Gabriel des Jargons jener, die absichtlich das Leben anderer gefährden? Sollte er nicht bestrebt sein, Worte zu wählen, die es unmöglich machen, ihn mit der anderen Seite zu verwechseln? Mit Übeltätern, die weit Schlimmeres vollbracht haben, wird gewählter umgegangen. Jedenfalls bis jetzt. Ein SS-Mann ist bspw. offiziell immer noch höchstens ein Scherge. Als „Pack“ sind die Leute, die in den Konzentrationslagern wüteten, bisher nie bezeichnet worden. Dass Gabriel nicht alleine ist, macht die Sache nicht besser – in einer Sendung des MDRs hat eine Professor aus Stendal die Personen, die gewaltig werden, als „Bodensatz“ bezeichnet. Den würde es immer geben, darum uns nichts weiter übrigbliebe, als dies zur Kenntnis zu nehmen. Niemand aus der Runde hat ihn, so weit ich mich erinnern kann, darauf hingewiesen, dass er sich des Nazijargons bemächtigt habe, was völlig indiskutabel sei. (Wer sich die Sendung antun möchte – hier ist der Link.) Da habe ich mich gefragt, warum eigentlich jede Stadt eine Hochschule haben muss. Wer sich nun die Frage stellt, warum einige Ausdrücke, die ein Bildungsbürger nie gebrauchen würde, verwenden, braucht auf die Antwort nicht lange zu warten – dank des hervorragenden Interviews mit einem Professor namens Bade bin ich zur Erkenntnis gekommen, dass die Politiker es den Menschen übel nehmen, nicht verstanden zu haben, dass sie nach dem Grundsatz Adenauers „Was geht mich mein Geschwätz von gestern an“ handeln. Angesichts der vielen Flüchtlinge sind darum Parolen wie „Kinder statt Inder“ völlig out. So etwas ist nie gesagt geworden. Wer etwas anderes behauptet, lügt.

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