„Das Zufallsimperium“ (ja, in dem leben wir)

Der Guardian hat sich vorgenommen, diese Woche ausführlich über Deutschland zu berichten, und da es heutzutage nicht mehr ausreicht, nur drei oder vier Artikel pro Tag zu drucken, sondern über diesen noch ein packender Haupttitel prangen muss, standen die Macher der Serie vor dem Problem, eine Überschrift zu finden, die auch als kleiner Seitenhieb gegen die Deutschen interpretiert werden kann. Ohne den kommt keine britische Zeitung aus, und das ist erst recht der Fall, wenn der Tenor positiv ist. Ich finde, das ist ihnen mit der Schlagzeile „Deutschland Das Zufallsreich“ gut gelungen. Die Deutschen können also nichts dafür, dass sie zur Zeit so mächtig ist. Wer das Gegenteil behauptet, macht sich verdächtigt, absichtlich die Vormacht erringen zu wollen. Da dies niemand will bzw. wahrnehmbar zugibt, ganz zu Schweigen lautstark hinausposaunt, können die meisten Deutschen mit der Wahl gut leben.

Einen Artikel habe ich bisher gelesen. Und über den habe ich mich ziemlich geärgert, und das schon beim ersten Blick darauf, denn in großen Lettern steht, dass es eine große Belastung sei – ich hatte „Burden“ als „Last“ verstanden, in der deutschen Fassung, die später erschien, ist von einer „Belastung“ die Rede, was sehr nach Medizin klingt –, ein Deutscher zu sein, dem ich, alleine schon, weil mich niemand gefragt hat, nicht zustimmen kann. Mit den Worten „für mich“, wegen mir auch „für meine Generation“, klänge der Titel authentischer und glaubwürdiger. Dass Schlink, der als einziger Deutscher es auf Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times schaffte (mit dem Roman „Der Vorleser“), dieser Meinung ist, kann ich gut verstehen.

Aber selbst wenn er viele Akademiker, vermutlich auch jüngere, kennt, die bestrebt sind, im Ausland ihre deutsche Identität zu verbergen, ist das noch lange kein Grund, eine Feststellung, die für jeden gilt, zu treffen. Dass Deutsche bestrebt sind, die Muttersprachler zu übertreffen, ist so neu nicht. Selbst in Deutschland sind die Briten nicht sicher. Da kann es schon mal vorkommen, dass ein deutscher Lehrer in einem in Englisch verfassten Geschäftsbrief zig Fehler findet, die er natürlich alle anstreicht. Die absolut Peniblen werden zuerst als Fremde entlarvt. Aber so recht kann ich nicht daran glauben, was Schlink bezüglich der Akademiker von sich gibt.

Nachdem ich den Text noch einmal las, habe ich mich, gefragt, ob die Generation, die den Krieg bewusst mitgemacht hat, es leichter gehabt haben könnte. Die haben, trotz aller Gräuel, die sie teilweise mit zu verantworten hatten, nie daran gezweifelt, einer großen Kulturnation anzugehören. Ironischerweise profitierten sie von den Emigranten, die der Welt durch ihre herausragenden Fähigkeiten das Bild vermittelten, das Land müsse voller Talente aller Couleur sein. Geflohene deutsche Künstler waren auch während des Kriegs allgegenwärtig. Eine kulturelle Großmacht ist Deutschland schon lange nicht mehr. Ob dies ein Grund ist, warum sich viele so verhalten, wie Schlink es beschreibt, kann ich nur schwer beweisen. Logisch wäre es aber schon. So recht weiß ich immer noch nicht, was ich von seiner Meinung halten soll. Der Mann ist einfach zu kategorisch. Das ist ja auch ein deutsches Übel.

Mit sich selbst Mitleid zu haben, ist per se nicht schlecht. Dieser Artikel trieft aber davor. Und vor allem ist er oft unangebracht (beispielsweise im 2. Absatz).

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