Das Übel anpacken („Blue Ruin“)

„Blue Ruin“ – oder wie schütze ich mich am besten vor mir selber? Für Amerikaner ist die Antwort recht einfach – indem nämlich der Staat ihnen verbietet, Waffen zu haben. Da dies nur die Botschaft, die am Ende des Films selbst dem größten Waffennarr ins Gesicht springt, des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ Thrillers sein kann, verwundert nicht, dass trotz toller Kritiken sich dessen Erfolg in den Staaten in Grenzen hält. Dass seit Michael Moores „Bowling for Columbine, dessen Premiere immerhin fast 13 Jahre zurückliegt, sich meines Wissens niemand mehr explizit mit diesem Thema beschäftigt, muss an den Abenteuern, auf die sich deren Präsidenten eingelassen haben, liegen. An Amokläufern hat es in diesen Jahren ja nicht gemangelt. Da nun offiziell Frieden herrscht, ist es an der Zeit, den Gebrauch der Waffe nach Gutdünken und Gutsherrenart (nach Cowboyart klingt einfach zu romantisch) als Übel allen Unheils anzuprangern.
Ein junger Mann, der seine Eltern rächt, bringt eine Familie dazu, Selbstjustiz zu verüben. Rücksichtslos gegen ihn und gegen sich selbst gehen sie vor. Erbarmen gibt es nicht, nicht einmal gegenüber den eigenen Männer und Söhnen. Der cleverste Einfall des Regisseurs Saulnier ist, den Zuschauer im unklaren zu lassen, mit wem Dwight es zu tun hat. Deren immense Bösartigkeit legt er am Schluss offen. Blair, der den gejagten Mann spielt, muss die Skrupel, die ihn, da er sie einfach nicht los wird, immer wieder in allerhöchste Gefahr bringen, durch List und Schläue kompensieren.
Ein wirklich sehenswerter Film, wenn auch für meinen Geschmack viel zu blutrünstig. Weniger ist oftmals mehr.

Hat das noch etwas mit Trauer zu tun? Das Plakat, mit dem die französische Regierung wirbt, am „republikanischen Marsch“ zum Gedenken aller, die in den letzten drei Tagen ihr Leben lassen mussten, teilzunehmen, lässt vermuten. Es ist kein Trauermarsch, kein Schweigemarsch, auch kein Gedenkmarsch, nein, es ist ein republikanischer Marsch. Dabei stand die Republik in dieser Woche niemals in Frage. Jedenfalls hatte ich nicht den Eindruck, dass sie in Gefahr sein könnte. Vielmehr scheint mir, dass Politiker Ereignisse wie jene in Frankreich nutzen, die Bevölkerung einzuschwören, unbedingt zusammenhalten zu müssen. Man dürfe sich nicht auseinander dividieren lassen. Die Freiheit sei in Gefahr. Immer die gleichen Sprechblasen. Die Medien machen da natürlich mit. In den Artikeln geht es nicht darum, aufzuzeigen, warum man „Charlie Hebdo“ gut gefunden hat. Oder welchen Zeichner man besonders gemocht hat. (Das Gesicht Houellebecqs, das der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe unter einem schwarzen Loch hat verschwinden lassen – warum eigentlich? – finde ich toll. Und der Text erst. Die Mohammed-Karikaturen haben mir überhaupt nicht gefallen.) Es geht um die Freiheit. Das man sich nicht einschüchtern lassen wolle. Ich habe den Eindruck, dass sich fast jeder Journalist nun bedroht fühlt. Sie glauben noch, dass sie damit ihre Trauer ausdrücken. Was natürlich nicht stimmt. Um das zu tun, muss ich den Lesern mitteilen, was ich an der Person verliere. Welche Beziehung ich zur ihr habe. Was sie geleistet hat.

PS: Übrigens kennen die Franzosen auch das Wort „Trauerarbeit“. Es heißt travail de deuil. Das können sie nur von den Deutschen haben. Nur die sind so verrückt.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert