Chodorkowski, 20. Dezember 2013

An was erinnert mich die diplomatische Befreiungsaktion Genschers? Richtig – um heil aus dem I.Weltkrieg herauszukommen, halfen die Deutschen einem Mann, der unbedingt nach Russland wollte, weiter. In einem Waggon der 2. und 3. Klasse reisten die russischen Emigranten von der Schweizer Grenze nach Sassnitz. Um die Pläne, die er in seinem Heimatland gedachte, Wirklichkeit werden zu lassen, nicht zu gefährden, wurde vereinbart, jedweden Kontakt mit den Deutschen zu vermeiden. Da auch zwei deutsche Offiziere im Wagen waren, erklärten die Russen den Teil, den sie für sich beanspruchten, zur neutralen Zone. Die Grenzziehung war denkbar einfach – ein Kreidestrich auf dem Boden trennte die verfeindeten Parteien. Ganz uneigennützig halfen die Deutschen natürlich nicht. Sie hofften, er würde den Krieg im Osten beenden, was er auch tat, jedoch nicht zu seinen, sondern den Konditionen, die ihm die deutsche Regierung auferlegte. Ob
Genscher, als er mit Putin über Chodorkowskis Freilassung verhandelte, an Stefan Zweigs Essay „Der versiegelte Zug“ dachte, weiß ich nicht. Mir kam dieser gleich in den Sinn, als ich hörte, Genscher habe zu dessen Begnadigung beigetragen. Wer den Text kennt, weiß, dass es müßig ist, darüber zu diskutieren, ob der gebürtige Hallenser der Logik „der Feind meines Freundes ist mein Freund“ gefolgt ist. Zudem ermöglicht das Lesen dieser „historischen Miniatur“, dessen Werdegang fürs erste außer acht zu lassen. Er regt vielmehr dazu an, auszuloten, was aus Chodorkowski werden könnte. Im Gegensatz zu den meisten Journalisten, die schreiben, er könne niemals nach Russland zurückkehren, solange Putin an der Macht ist, glaube ich, dass er die allerbesten Chancen hat, Lenin zu folgen, und das, ohne sich verkleiden zu müssen. Vorausgesetzt, er unternimmt nicht etwas, was die Leute an sein Dasein als Oligarch erinnern könnte. Gehörte ich diesem Personenkreis an, würde ich ihm 100 Millionen Euro schenken. Nur um ihn davor abzuhalten, den russischen Staat wegen seiner Enteignung vor irgendeinem internationalen Gericht zu verklagen. Dann könnte nämlich die Öffentlichkeit erfahren, wie die Privatisierungswelle in Russland abgelaufen ist. Das will niemand. Putin auch nicht. Er braucht einen Chodorkowski, der mehr Rechte für die Bevölkerung fordert. Und der sich mit Russlands Bürokratie anlegt. Diesen Kampf hat er vor kurzem als für gescheitert erklärt. Die „Zar Peter“-Methode hilft nicht mehr weiter. Nur die Bürger können diesen gewinnen. Mit Chordowski an vorderster Spitze. Dank Internet und Twitter hat er beste Möglichkeiten, seine Ideen und Vorstellungen unter die Massen zu bringen. Ob der 20.12.2013 in die Geschichte eingehen wird, liegt zum größten Teil an Chodorkowski. (Vielleicht hat er Zweig im Arbeitslager gelesen.)

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2 Antworten zu Chodorkowski, 20. Dezember 2013

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