Bald im Dauertalk

Ich überlege, ob dieser Sommer der erste in die Geschichte der Bundesrepublik sein wird, an dessen Ende nicht nur die Tage kürzer und kälter werden, die Schule und die BL wieder beginnen sowie jede Menge Weihnachtsstollen, die, weil großwüchsige Kunden sich nicht trauen, jetzt schon welche zu kaufen, weiterhin in Stapeln von mehr anderthalb Metern aufgetürmt bleiben, so dass kleinerer Probleme haben, sich zu bedienen, in die Supermärkte kommen, sondern etwas Spezielles auftritt, was es in diesem Umfang noch nie gegeben hat – Anfang September startet ab ungefähr 22:00 Uhr der allabendliche Massentalk, allmählich erst, Mitte des Monats wird er aber schon seine Dauerdrehzahl erreicht haben und wie ein Megacontainerschiff, dessen zwei Besatzungen monatelang einen engen Fahrplan auf immer ein und derselben Route einhalten müssen, laufen. Auf solch einem Schiff wechselt die Besatzung alle drei oder vier Wochen, Talkmaster aber fahren ohne Pause durch. Dem kann man sich nur entziehen kann, indem man nicht mehr guckt oder aber nur Nischensender besucht. Es ist nicht der Mühe wert, nun aufzulisten, wann wer wo talkt. Ich glaube, am Samstagabend ist die Chance am größten, von niemanden „zugequatscht“ zu werden (aber nur, weil Kerner nicht mehr das Sportstudio moderiert). Erstaunlich finde ich, dass sich bisher niemand mit den Konsequenzen des Talkwahns auseinandergesetzt hat. Dabei gibt es so viel zu diskutieren, beispielsweise, ob nicht ein 1 Jahr Dauertalk die Deutschen veranlassen könnte, ihren Urlaub in der Nebensaison zu nehmen, um im Sommer – die Talkindustrie produziert und sendet dann nicht – das Abendprogramm genießen zu können. Anderen wiederum kommt der Einfall, nur noch in der Hauptsaison ins Ausland zu fahren, wenn der Veranstalter ihnen versichert, dass sie auf ihrem Hotelzimmer alle deutschen Sender empfangen würden. Die örtliche Restaurantbesitzer und Diskothekenbetreiber werden schäumen, sollten sich die Deutschen im nächsten Jahr dazu entschließen, die Abende auf dem Hotelbett zu verbringen. Würde dies zum Dauerzustand werden, könnten sich einige Länder veranlasst sehen, die Deutschen gar nicht mehr ins Land zu lassen bzw. von ihnen eine im Voraus zu leistende Gebühr, die den entgangenen Einnahmen entspricht, verlangen. Wer bei der Heimreise beim Zoll nachweisen kann, nach 22:00 Uhr aus gewesen zu sein, bekommt die Gebühr dann wieder. Vermutlich werden die Beschäftigten der Talkindustrie die einzigen Deutschen sein werden, die man im Ausland gerne empfängt. Das widerspräche natürlich dem Verursacherprinzip. Aber wen kümmert das schon?

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