Armes Heringsdorf

Zweimal überträgt das ZDF noch EM-Spiele, was für mich heißt, zweimal noch darauf zu achten, exakt um 20:45 Uhr einzuschalten – einfach um absolut sicher zu sein, nichts vom EM-Studio sehen zu müssen. Diese Phobie hat mich bis jetzt so im Griff, dass ich selbst darauf verzichtet habe, mir die Nationalhymnen anzuhören, was ich im Nachhinein bedaure, da ich nun nicht mehr die Möglichkeit habe, andächtig meiner Lieblingshymne zu lauschen (im Sitzen) – die Russen sind leider schon ausgeschieden (zu meinem großen Bedauern auch deren Hymne). Da dieser Tick auch bei der ARD auftritt, fürchte ich, in diesem Jahr keine Nationalhymne live erleben zu können. Ein Trost, dass die vier jener Nationen, die den Sieger unter sich ausmachen, mir nicht sehr zu Herzen gehen. Und alles nur wegen einer Freiluftbühne, die ich protzig und geschmacklos finde, am Strand Heringsdorfs, eines der mondänsten Seebäder, die die Ostsee zu bieten hat. Warum das Dreikaiserbad, die beiden anderen Bäder, Ahlbeck und Bansin, sind gehören heute zu Heringsdorf, dem ZDF erlaubt hat, den Strand sowie den Ausblick auf die Ostsee zu verunstalten, ist für mich schwer verständlich (ein Wort noch zum Kaiser – war der nicht schlau, gleich drei Orte, die auch noch dicht nebeneinander liegen, zu Bädern seiner Majestät zu machen? Das war kluges Marketing, wurde dadurch doch unnötiger Streit, er wird ja nicht in jedem Badeort eine Herberge gehabt haben, vermieden). Immer, wenn ich den Fernseher anschaltete, um Fußball zu gucken, habe ich überlegt, wie man den Fernseher, der bis nächsten Sonntag noch im Wasser stehen wird, loswerden könnte. Ein Tsunami kam mir in den Sinn. Es müsste einer sein, der kurz vor dem Strand abrupt in sich zusammenfällt, so dass nur der hässliche Bildschirm im Meer versinkt. Eigentlich könnte er auch die runde Plattform, auf der die Moderatoren des ZDFs stehen (Skizzen lassen vermuten, es könne sich nur um einen Hubschrauberlandeplatz handeln), mit ins Meer spülen. Aber da besteht die Gefahr, dass Frau Müller-Hohenstein sowie Herr Kahn auch mit ins Wasser gezogen werden. Das möchte ich nun wirklich nicht. So bleibt mir nur, darauf zu hoffen, dass eine Riesenkrake sich dem Problem annimmt (er soll möglichst auf natürliche Weise verschwinden). Mit ihren langen Armen wäre es für sie kein Problem, den Bildschirm aus den beiden Verankerungen zu reißen und mit ihm, sozusagen unter ihrem Arm, wieder im Meer zu verschwinden. Das Problem ist nur, dass in der Ostsee diese putzigen Tiere nur schwer existieren können – sie ist einfach nicht tief genug. Könnte ich so malen wie der Mann vom Independent (sein heutiges Werk), hätte ich mein Wunschbild schon längst zu Papier gebracht. Sollten Sie demnächst in einem gut sortierten Puzzle-Geschäft ein Karton, auf dem Menschen zu sehen sind, die völlig entgeistert und staunend gucken, ausmachen, können Sie davon ausgehen, dass sich ein Puzzle-Macher, vermutlich ist es Jan von Haasteren (leider nur in Holländisch, dabei verdient der Mann es, in jeder Wiki-Ausgabe aufgeführt zu werden), eben beschriebene Szene dargestellt hat (es gibt schon eines in dieser Art). Warum hat sich Heringsdorf überhaupt auf den Deal mit dem ZDF eingelassen bzw. nicht eine Übertragungsstätte gefordert, die dem Charakter des Orts, der berühmt für seine Architektur ist (Stichwort Bäderarchitektur), entspricht? Wer ausgerechnet wegen den anheimelnden Gebäuden sowie der Ruhe vor dem Sturm, in einigen Länder haben ja schon die Sommerferien begonnen, gekommen war, wurde bitter enttäuscht – der Anblick dieses Monstrums dürfte jede Urlaubsstimmung zunichte machen.

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