Anderes Script auch vorstellbar („Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“)

Wer denkt, es reiche, ein Testament, das wasserdicht ist, sowie eine Patientenverfügung, in der bspw. geschrieben steht, die Geräte, die einen am Leben erhalten, erst abzuschalten, wenn man das 90. Lebensjahr erreicht hat, aufzusetzen, wird sich, nachdem er „Mr. May“ gesehen hat, fragen, ob es nicht Sinn macht, die Trauerrede, die andere für einen schreiben, selbst zu formulieren. Mich würde nicht wundern, wenn der eine oder andere Filmbesucher bereits seinen Nachruf verfasst haben sollte (mein Tipp – immer daran denken, dass man die 3. Person Singular bzw. seinen Vornamen nehmen muss). Vielleicht hat jemand die Rede mitsamt der Musik sogar schon auf eine CD pressen lassen. Die Frage ist nur, ob die Verwandten das mitmachen. Auf sie braucht „Mr. May“ keine Rücksicht zu nehmen – er organisiert Beerdigungen für die, die keine Hinterbliebenen haben.
Und das macht er besser als jene, für die man zahlen muss – bei der Auswahl der Musik und der todschicken Särge zeigt er immer Geschmackssicherheit. Auch ist er gut darin, jenen, die er begraben muss, beste Ruheplätze (tolle Aussicht auf die Canary Warf) zu verschaffen. Der Mann scheut also keine Kosten und Mühen, die Verstorbenen würdig zu beerdigen. Das wird ihm später zum Verhängnis. Noch faszinierender ist, wie er es schafft, anhand bestimmter Gegenstände, die er aus den Wohnungen der Verstorbenen mit nach Hause nimmt, Trauerreden, die viel origineller und persönlicher als jene der Profis sind, zu verfassen. Genauer gesagt wird uns nur eine dargeboten. Die ist so gut, dass der Pfarrer, der die undankbare Aufgabe hat, sie vorzutragen, sich sichtlich darüber ärgert, dass ihm der Text nicht eingefallen ist (warum soll es englischen Geistlichen anders als deutschen ergehen?). „Mr. May“ hat, das ihm deutlich anzumerken, wieder ein Schnippchen geschlagen.

Im Nachhinein hätte ich „Mr. May“ bzw. Eddie Marson, der ihn spielt, gewünscht, jemand, der in dieser Branche arbeitet, hätte zufällig der Feier beigewohnt und den Pfarrer zu dessen Rede beglückwünscht, worauf dieser ihn an „Mr. May“ verwiesen hätte. Dann beginnt „Mr. May“ märchenhafter Aufstieg (in „Adel verpflichtet“ muss der Aufsteiger noch alle Leute, die seiner Karriere im Weg stehen, selbst umbringen) zum besten und gefragtesten Grabredenschreiber Englands. Das wäre eine lustige Abrechnung mit einer Zunft, der wir das Wort „Trauerarbeit“ zu verdanken haben. Leider war Regisseur Pasolini nicht in der Stimmung, eine Komödie zu drehen. Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit hat er gemacht, um über seine Scheidung hinwegzukommen. Er will zeigen, wie einsam man sein kann. (Vielleicht entschließt er sich ja noch, eine zweiten Teil zu drehen). Das heißt nicht, dass der Film schlecht ist. Auch wenn Pasolini gewohnte Bahnen nicht verlässt, macht es Spaß, zu sehen, was „Mr. May“ alles unternimmt, um Verwandte und Bekannte eines Verstorbenen davon zu bringen, dessen Beerdigung beizuwohnen. Eine wirklich gute Tragikomödie. Mehr Anarchismus würde dem Kino durchaus guttun.

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